Macht der Brexit den Affenfelsen spanisch?

London/Madrid · Analyse Die Bewohner der Kolonie Gibraltar fühlen britisch, doch die Lösung von der EU wollten sie nie. Nun werden sie in den Austrittsverhandlungen zum Pfand.

Es ist eine kleine diplomatische Schlappe, die in Großbritannien noch größere politische Wellen auslösen dürfte: Die bisherigen EU-Verhandlungslinien zum Brexit sehen vor, dass künftige Handelsabkommen mit Großbritannien nicht automatisch auf die Kronkolonie Gibraltar übertragen werden. Verträge über eine Freizügigkeit des Waren- und Personenverkehrs müssen demzufolge vor der Anwendung auf Gibraltar von Spanien gebilligt werden. Damit würde Madrid ein Veto-Recht bekommen, mit dem die Spanier ihrer Forderungen nach schrittweiser Rückgabe der Kolonie Nachdruck verleihen könnten.

Madrid jubelt über diesen diplomatischen Triumph, in London ist man währenddessen alles andere als "amused". Die 30 000 Bewohner auf dem "Affenfelsen", wie die britische Kolonie an der Südspitze der iberischen Halbinsel auch genannt wird, sind empört. Die Einwohner des Mini-Territoriums gelten in ihren Gefühlen für die Krone als britischer als die meisten Briten. Die Gibraltarer hatten in einem Referendum im Jahr 2002 mit 99 Prozent der Stimmen bekräftigt, dass sie zum Vereinigten Königreich gehören wollen. Damit hatten sie dem damaligen Vorschlag einer geteilten Verwaltung ihrer Kolonie durch Madrid und London eine Abfuhr erteilt.

Zugleich ist die Minikolonie, die sich dank niedriger Steuersätze und tausender Briefkastenfirmen zu einem Finanz- und Shoppingparadies entwickelte, eine pro-europäische Hochburg. Im Brexit-Referendum im Juni 2016 stimmten 96 Prozent der Gibraltarer gegen den EU-Abschied. Vor allem, weil die Bewohner überwiegend vom relativ freizügigen Handel und Grenzverkehr mit dem spanischen EU-Nachbarn leben. Die guten Geschäfte mit der EU sind nach dem Brexit, der auch Gibraltar aus der EU katapultiert, in Gefahr geraten. Die Kolonie mit ihrem markanten 400 Meter hohen Felsen, auf dem es die letzten frei lebenden Affen Europas gibt, gehört seit über 300 Jahren zum britischen Königreich.

Angesichts des drohenden Gibraltar-Rückschlags im Brexit-Ringen mit der EU versucht London, die Kolonie zu beruhigen. "Gibraltar steht nicht zum Verkauf", sagt Außenminister Boris Johnson. Er wird alles daran setzen, um die EU-Position aufzuweichen.

Die EU-Richtlinien für die Brexit-Verhandlungen sind bisher nur ein Entwurf, den EU-Ratspräsident Donald Tusk vorgelegt hat. In der darin enthaltenen Gibraltar-Klausel heißt es: "Wenn das Vereinigte Königreich die Union verlässt, darf kein Abkommen der EU mit dem Vereinigten Königreich ohne Einverständnis zwischen Spanien und dem Vereinigten Königreich auf Gibraltar angewandt werden." Ende April müssen die EU-Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 EU-Mitglieder auf einem Sondergipfel dem noch zustimmen. Sollten die Verhandlungsgrundsätze angenommen und Gibraltar tatsächlich von allen Brexit-Abkommen ausgeschlossen werden, würde die Position der Kolonie deutlich geschwächt.

Für Gibraltar existenzielle Themen wie freier Handel und Grenzverkehr müsste Großbritannien in direkten Gesprächen mit Spanien aushandeln. Madrid machte bereits klar, dass es dann die Daumenschrauben anlegen und Freizügigkeit für die ungeliebte Kolonie, die wie ein Stachel im Fleisch der iberischen Halbinsel sitzt, nur gegen Zugeständnisse bei der Souveränität akzeptieren wird. Die Brexit-Klausel könnte den Anfang vom Ende der britischen Kronkolonie einleiten.

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