Macht auf die Tür

Das erste Weihnachten war ein Fest von Menschen, die sich auf den Weg machten. Die Bibel-Geschichte erzählt von Herodes-Terror und Armut im Stall, vom Wunsch nach Geborgenheit und der Sehnsucht nach Rettung.

Dies alles ist derart durchlässig für die aktuelle Flüchtlings- und Pegida-Problematik, dass man sich bereits jetzt die Ohren zuhalten möchte ob all der leierkastenartigen Wiederholungen, die in den nächsten Tagen zu gewärtigen sind. Nicht eine Predigt, nicht eine Ansprache wird ohne pädagogisch wertvolle Appelle auskommen: Gastfreundschaft! Toleranz! Hilfsbereitschaft! Jawohl, wir, die Mehrheit der Deutschen, wissen, was zu tun ist. Pflichtschuldig liefern wir jährlich unsere Milliarden Spenden-Euro ab. Und drücken ein Tränchen, wenn in den Jahresrückblicken die bestürzenden Bilder aus Syrien auftauchen oder von ertrunkenen Afrikanern vor den Mittelmeerküsten Europas. Was bitte, erwartet man denn noch von uns?

Weihnachten liefert eine gute Gelegenheit, vom ritualisierten Mitfühlen zum praktischen Handeln zu kommen. Mitmenschlichkeit realisiert sich nicht im großen visionären Wurf einer neuen globalen Flüchtlingspolitik , sondern in kleinen Gesten. Der Nachbarin mit dem Kopftuch ein Päckchen vor die Tür legen, der jungen ausländischen Familie selbst gemachte Plätzchen vorbeibringen. Sentimentales Getue? Wohlfeiles Gutmenschentum? Das sind zynische Ausreden für Abschottung. Letztere ist uns nicht nur politisch durch die Mutbürger wohlvertraut. Keine andere Nation pflegt den Rückzug ins Kleinfamiliäre derart wie die Deutschen - gerade an Weihnachten. Es ist dies eine in der Biedermeier-Zeit (1815-1848) gewachsene Sozialmentalität. Weihnachten im allerengsten Familienkreis - das ist eine sehr deutsche Angelegenheit. Wen wundert es, dass unsere Weihnacht Ausländern nicht-christlichen Glaubens fremd bleibt? Wir verschließen unsere Türen. Insofern lässt sich die Idee, das heimische Zusammenkuscheln für Fremde zu öffnen, durchaus als Zumutung empfinden. Beispielhaft steht dafür die Erfahrung von Grünen-Chef Cem Özdemir . Obwohl in Deutschland geboren und voll integriert, wusste er lange nicht, wie die Deutschen die Weihnachtstage verbringen. Bis zu dem Tag, an dem ihn endlich ein Freund mitfeiern ließ.

Im übertragenen Sinn könnte das als Konzept für eine erfolgreichere Ausländerpolitik dienen. Das Teilhabenlassen an Werten und guten Momenten, das könnte ein erster Schutzschild sein für die Ansteckung durch Hass, den Islamisten dem christlichen Glauben entgegenbringen. Es wäre eine Politik der kleinen Bürger-Schritte. Denn Weihnachten ist kein Weltverbesserungs-, sondern ein Seelenverbesserungsfest.

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