Kirchliches Arbeitsrecht Wie weit dürfen Kirchen als Arbeitgeber gehen?

Erfurt/Düsseldorf · Nach Scheidung und zweiter Hochzeit die fristlose Kündigung – so erging es dem Chefarzt eines katholischen Krankenhauses in Düsseldorf. Der Grund: Die zweite, standesamtlich geschlossene Ehe ist nach kirchlichem Verständnis ungültig, sein Verhalten verstieß nach Ansicht seines Arbeitgebers damit grob gegen Loyalitätspflichten im Arbeitsvertrag.

Der Fall des Internisten beschäftigt seit zehn Jahren die höchsten Gerichte in Deutschland und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Nun scheint der Endpunkt auf seinem Weg durch die Gerichtsinstanzen erreicht.

An diesem Mittwoch entscheidet das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt nicht nur darüber, ob die Kündigungsschutzklage des Mediziners Erfolg hat. Fachleute erwarten auch ein Grundsatzurteil der höchsten deutschen Arbeitsrichter zum Sonderstatus der Kirchen als Arbeitgeber – in diesem Fall der katholischen Kirche.

Es wäre das zweite Kirchenurteil der Bundesarbeitsrichter innerhalb weniger Monate. Im Oktober 2018 hatten sie bereits mit einer Entscheidung im Fall der Diakonie der evangelischen Kirche für Aufsehen gesorgt. Die Richter schränkten die Freiheit der Kirchen ein, besondere Anforderungen an die Religionszugehörigkeit von Bewerbern bei Stellenausschreibungen zu stellen. Das sei nur zulässig, wenn es für die konkrete Tätigkeit objektiv notwendig sei, so ihr Urteil im Fall einer Sozialpädagogin aus Berlin.

Die Entscheidungen der Richter haben Auswirkungen auf viele Menschen – die Kirchen sind große Arbeitgeber mit etwa 1,4 Millionen Beschäftigten, das Gros bei Diakonie und Caritas. Das Grundgesetz räumt den Kirchen ein Selbstbestimmungsrecht bei ihren Angelegenheiten ein. Eine gewisse Autonomie mit Sonderrechten, die seit Jahren von Gewerkschaftern und einigen Politikern als unzeitgemäß und reformbedürftig diskutiert werden. Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing, der die katholische Kirche in dem Chefarztfall vor dem Bundesverfassungsgericht und dem EuGH vertreten hat, sieht die Bundesarbeitsrichter vor einer Herausforderung. „Es geht um den Konflikt zwischen deutschem Verfassungsrecht und Europarecht. Das BAG muss eine Balance finden“, sagt der Professor.

Im Fall des Düsseldorfer Mediziners hatte das Bundesverfassungsgericht ein BAG-Urteil von 2011 aufgehoben, wonach die Kündigung unrechtmäßig war. Die Verfassungsrichter stärkten damit 2014 die Sonderrechte der Kirchen als Arbeitgeber – und verwiesen den Fall zurück nach Erfurt. Die Bundesarbeitsrichter riefen 2016 den EuGH an. Dieser kam im September 2018 zu einem anderen Ergebnis als Karlsruhe: Sie sahen in der Kündigung tendenziell eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion.

Der Leiter der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht an der Uni in Tübingen, Hermann Reichold, sagte nach der Entscheidung, das individuelle Arbeitsrecht der Kirchen werde sich „in Zukunft stärker nach weltlichen Maßstäben richten müssen“. Auch Jurist Thüsing sieht Veränderungen. „Der kirchliche Freiraum hat ein anderes Gewicht bekommen. Der EuGH hat deutlich gemacht, dass er ihn in der Breite nicht akzeptiert.“

Der Dienstvertrag des Chefarztes fußt auf einer vom Erzbistum Köln erlassenen Grundordnung, nach der von den Mitarbeitern die Anerkennung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erwartet wird. Knackpunkt in dem Fall könnten seine Kollegen sein: Andere leitende Mitarbeiter der Klinik, die einer anderen oder keiner Kirche angehören, hatten ihren Job bei einer zweiten Ehe nicht verloren. Liegt so etwas im Ermessen des kirchlichen Arbeitgebers oder ist es Diskriminierung? Das muss Erfurt entscheiden.

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