Londons Bürgermeister stellt sich gegen Cameron

London · Boris Johnson weiß, wie man den ganz großen Auftritt absolviert. Kein anderer britischer Politiker inszeniert sich so geschickt wie Londons Bürgermeister. Das hat er am Wochenende wieder einmal bewiesen.

Lediglich mitzuteilen, dass er einen Austritt des Königreichs aus der EU befürwortet, wäre für den Mann mit dem immensen Ego nicht das Richtige gewesen. Er wollte sichergehen, dass er auf den Titelseiten der Montagsausgaben erscheint und so zögerte der 51-Jährige zwei Tage lang, wenn auch nur scheinbar.

Es funktionierte: Boris, wie er nur genannt wird, bekam die großen Schlagzeilen: "Auftrieb für Austrittskampagne durch Boris' Brexit-Unterstützung", hieß es bei "The Times". "Warum Großbritannien Nein sagen sollte", erklärte Johnson höchstpersönlich in einem Artikel im konservativen "Telegraph". Premierminister David Cameron warf er vor, keine grundlegende Reform durchgesetzt zu haben. Dabei habe ihm die Entscheidung, sich gegen den Regierungschef zu stellen, "eine gehörige Menge Kopfschmerzen" bereitet, sagte er. Das wiederum nahmen ihm nur wenige Beobachter wirklich ab. Der Kampf der nächsten Monate dürfte lauten: Johnson gegen Cameron. Der Premier betonte dagegen auch gestern vor dem Parlament, Großbritannien sei in der EU "sicherer, stärker und wohlhabender". Grundlage seines Engagements für einen Verbleib sei der "Sonderstatus", den er am späten Freitagabend mit den übrigen Mitgliedstaaten ausgehandelt hatte. Doch noch bevor der Deal bekannt wurde, trommelten die Austrittsbefürworter bereits laut für den Brexit. Am 23. Juni dürfen die Briten in einem Referendum über die Mitgliedschaft in der EU abstimmen, das Land ist in der Frage tief gespalten.

Sofort nach Verkündung des Deals fiel der Name Boris Johnson . Der über die Stadtgrenzen beliebte Politiker wurde als Schlüsselfigur betrachtet, weil er auch bei jungen Menschen ankommt, die mehrheitlich pro-europäisch eingestellt sind. Zudem gehört er zwar wie seine Kollegen dem Establishment an, doch er kommt volksnäher herüber.

Mit der Entscheidung, das Brexit-Lager zu unterstützen, geht er zwar ein riskantes Spiel ein, das ihn aber am Ende in die Downing Street Nummer 10 bringen könnte. Denn sollten die Briten in dem Referendum tatsächlich für den Austritt stimmen, wird Cameron seine zweite Amtszeit vorzeitig abbrechen müssen. Potenzielle Nachfolger wie Schatzkanzler George Osborne haben sich auf Camerons Seite gestellt und werden es schwer haben, sich gegen die europakritische Parteibasis durchzusetzen. Johnson steht dann bereits in den Startlöchern. Selbst wenn die Volksabstimmung zugunsten der EU ausgehen sollte, stehen die Chancen für Boris Johnson nicht schlecht, Cameron zu beerben. Der Premier wird wahrscheinlich aus strategischen Gründen frühzeitig sein Amt aufgeben, um dem Nachfolger vor der Wahl 2020 Platz zu machen. Dieser wird jedoch nicht von der Bevölkerung, sondern von der konservativen Parteibasis bestimmt. Und die besteht aus EU-Skeptikern. Sie dürften die Entscheidung des Bürgermeisters mit Wohlwollen vernommen haben. Keiner weiß das besser als Johnson.

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