London überschätzt sich

Diese Woche war eigentlich als Londoner Charme-Offensive geplant. Nachdem er in den vergangenen Jahren auf der europäischen Bühne häufig durch Polterauftritte aufgefallen ist, will der britische Premierminister David Cameron bei Besuchen unter anderem in Berlin die EU-Partner umgarnen, um Reformen in der Union durchzusetzen.

Diese sollen das Vereinigte Königreich stärken, aber auch "zum Wohle aller Mitgliedsländer" sein, wie die Regierung in Westminster betont. Dann sollen die Briten per Referendum die Frage beantworten: "Soll Großbritannien ein Mitglied der EU bleiben?" Das geht aus dem gestern vorgestellten Gesetzentwurf hervor.

Das Tempo, das Cameron vorlegt, zeigt, unter welchem innenpolitischen Druck er beim Thema EU steht - vor allem, seitdem er mit seinen Konservativen alleine regiert. Einige seiner europakritischen Parteikollegen sind wie die Raupe Nimmersatt in Bezug auf Brüssel.

Und so bekam die Charme-Offensive gestern gleich wieder einen Dämpfer, als Außenminister Philip Hammond Vertragsänderungen forderte, um die Reformen der EU "unumkehrbar und substanziell" zu machen. Vertragsveränderungen aber stoßen in Brüssel auf klare Ablehnung. Und bis zum für 2016 angedachten Referendum im Königreich ließen sie sich ohnehin kaum in allen Mitgliedsländern ratifizieren. Hier zeigt sich die verzerrte Wahrnehmung vieler Briten auf die europäische Realität. Sie überschätzen gerne ihre Bedeutung in Europa.

Ohnehin hat Cameron nach gar keine klaren Forderung vorgelegt. Konkret ist nur: Er will den Zugang von Einwanderern aus EU-Staaten zu Sozialleistungen seines Landes erschweren - und dafür die Freizügigkeit in der EU einschränken. Ansonsten verliert er sich im Nebulösen. Die nationalen Parlamente sollen gestärkt werden. Das Königreich wolle eine "immer engere Union" vermeiden. Seinen EU-kritischen Parteikollegen dürfte aber egal sein, welche Erfolge Cameron dabei nach Hause bringt. Beim Sorgenkind Immigration etwa hätten sie auch innenpolitisch großen Spielraum. Doch lieber ziehen die Europakritiker Brüssel als Sündenbock heran. Und statt eines Kompromisses wünschen sich diese Hardliner nur den Ausstieg aus der EU.

Angesicht ihrer Rhetorik droht das Königreich zunehmend von der internationalen Bühne zu rutschen. Die EU - nicht zuletzt Deutschland - aber will, dass London bleibt. Die Bundesrepublik hat in ihm einen liberaleren und den USA zugewandten Partner, der wie Berlin den Freihandel unterstützt und für eine Stärkung des Binnenmarkts eintritt. Aber auch für Berlin gibt es - zu Recht! - Grenzen, vor allem, wenn es um die Grundfreiheiten der EU geht. Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer darf nicht angetastet werden.

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