Liebe zu Brüssel will nicht entflammen

Wien · Es sah nicht wirklich gut aus. Fast kein Österreicher war über die EU wirklich informiert und, noch schlimmer, fast keiner wollte etwas darüber wissen. Zu allem Überfluss wetterte Rechtspopulist Jörg Haider (FPÖ) über drohende "Blutschokolade", sollte die Warenfreiheit der EU über die Alpenrepublik hereinbrechen.

Die Werbekampagne "Gemeinsam oder einsam?" half schließlich, einen Stimmungswechsel herbeizuführen: 1994 votierten in einer Volksabstimmung 66,6 Prozent der Bürger für Europa. Seit dem 1. Januar 1995 ist Österreich Mitglied der EU.

20 Jahre später erinnert aber manches an die EU-feindliche Stimmung vor dem Beitritt. Gerade mal 57 Prozent halten den EU-Beitritt nach einer Studie der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik für richtig. Immerhin 67 Prozent wollen in der EU bleiben, doch exakt ein Viertel befürwortet den Austritt. "Der deutliche anfängliche Zuspruch war im Rückblick auch ein Fluch", meint der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier von der Universität Krems. So richtig habe keine Partei, keine Landes- oder Bundesregierung das Thema EU gepflegt. Stattdessen walte gerade im Umfeld von Wahlen oft billiger Populismus gegenüber Brüssel , sagt Filzmaier. Auch die harte Haltung der EU gegenüber der Koalition aus ÖVP und der rechten FPÖ entfremdete die Österreicher von Brüssel . "Die EU-Sanktionen waren eine einschneidende Erfahrung", sagt etwa der Europa-Abgeordnete der ÖVP, Paul Rübig . "Wir wollen schon selber entscheiden, wie wir mit politischen Parteien umgehen." Er sieht aber auch hausgemachte Fehler. EU-Vorschriften würden in Wien gern noch verschärft, bei Protesten zeige man aber mit dem Finger auf Brüssel . Rübig findet das schlicht feige.

Österreich hat enorm vom EU-Beitritt und der Erweiterung profitiert. "Jeder österreichische Euro, den wir netto an Brüssel zahlen, kommt dreifach zurück", betonte jüngst der Präsident der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl. Die rot-weiß-roten Exporte hätten sich seit dem Beitritt 1995 verdreifacht. Auch wenn die Alpenrepublik als eins der reichsten EU-Mitglieder eher wenig Fördermittel erhält - in Regionen wie das an Ungarn grenzende Burgenland floss seit 1995 fast eine Milliarde Euro aus Brüssel .

Als "zwiespältig" beschreibt der Wirtschaftsexperte der EU-Kommission in Österreich , Marc Fähndrich, das Verhältnis der Einheimischen zur EU. Der Euro genieße vergleichsweise überdurchschnittliche Zustimmung. Auch Konzepte wie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik fänden die Österreicher gut. "Extrem skeptisch ist die Bevölkerung aber bei Erweiterungsdebatten", sagt Fähndrich. Aus Sicht des Werbe-Strategen Mariusz J. Demner, der vor 20 Jahren die erfolgreiche Pro-EU-Kampagne konzipierte, wären Fragen auch heute wieder ein gutes Mittel, um seinen Landsleuten die Augen zu öffnen. "Wo finden unsere Bauern 500 Millionen Konsumenten?", würde er analog zu damals formulieren.

Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Filzmaier liegt das Problem jedoch tiefer. Es gehöre zur politischen Kultur in Österreich , nur in den Dimensionen der Alpenrepublik zu denken, meint er. Erst die Finanz- und Wirtschaftskrise leitete aus seiner Sicht eine gewisse Trendwende ein: Inzwischen vermittle die Politik des öfteren ganz offensiv, dass Brüssel eher Teil der Lösung als Teil des Problems sei.

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