Leitartikel Trump hat nur noch die männlichen Wähler im Blick

US-Präsident Donald Trump sieht sich offenbar als politischer Super-Stratege. Wie sonst käme er auf die Idee, sich in dem harten Tauziehen um seinen Richter-Favoriten Brett Kavanaugh kurz vor der Senats-Abstimmung ausgerechnet über das mutmaßliche Opfer lustig zu machen, das den Juristen einer Sex-Straftat vor 36 Jahren beschuldigt?

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Foto: SZ/Robby Lorenz

Oder lässt sich der impulsgesteuerte Trump bei solchen Ausfällen von sadistischen Tendenzen treiben – so wie er es vor den Wahlen 2016 getan hat, als er nacheinander einen behinderten Journalisten öffentlich nachäffte und beleidigte und wenig später Ähnliches mit einer Familie tat, deren Sohn in einem Gefecht gefallen war?

Damals ist Trump mit diesen Aktionen, die einen eklatanten Mangel an ethischer Reife belegen, noch einmal davongekommen. Ähnliches glaubt er sich nun im Fall Kavanaugh leisten zu können. Doch diesmal sind die Karten anders gemischt – und der Präsident könnte mit viel zu hohem Einsatz gepokert haben. 2016 hatte er mit Hillary Clinton eine Gegnerin, die einen wenig inspirierenden Wahlkampf geführt hatte, der thematisch kaum überzeugende Akzente außer dem inhaltsleeren Slogan „Jetzt bin ich an der Reihe“ setzte. Heute aber sieht sich der Präsident mit Blick auf die Kongresswahlen im November und seine Wiederwahl-Ambitionen in zwei Jahren mit Millionen politisch hoch motivierter Frauen konfrontiert, die die Live-Aussage von Christine Ford zu den vermeintlichen Missetaten des Richters im Jugendalter verfolgt haben und sich mit ihr identifizieren können. Auch, weil viele von ihnen die Erfahrung kennen, sexuell belästigt worden zu sein.

Diesen Frauen fällt es deshalb leicht, sich gegen Trump und die Republikaner zu positionieren. Auch weil der Präsident selbst weiter unter dem dringenden Verdacht steht, immer wieder unerwünschte sexuelle Avancen praktiziert zu haben. Er wollte eigentlich jene Frauen, die ihn solcher Übergriffe beschuldigen, vor den Kadi ziehen – aber hat dies bis heute nicht getan, weil er sich dann einer hochnotpeinlichen Beweisaufnahme stellen müsste. An Trumps Geisteshaltung können keine Zweifel bestehen, wie einst ein versehentlicher Mikrofonmitschnitt deutlich machte. Seitdem sind seine Worte, er könne Frauen aufgrund seiner Prominenz ungestraft zwischen die Beine greifen, untrennbar mit der Person Donald Trump verbunden.

Und nun die Kavanaugh-Debatte. Der Präsident scheint mittlerweile begriffen zu haben, dass er die Herzen der Frauen, die sich mit den mutmaßlichen Richter-Opfern solidarisiert haben, nicht mehr gewinnen kann. Nun setzt Trump deshalb auf den männlichen Wähler, der sich angeblich nicht mehr juristisch sicher fühlen kann, weil überall – so stellt es der Präsident dar – ungerechtfertigte Anschuldigungen drohen, bei denen die Beweislast umgekehrt sei und ein Mann gezwungen werde, seine Unschuld zu beweisen. Auf diese Zielgruppe nun unversöhnlich zu setzen, ist ein extrem gefährlicher Drahtseilakt, für den Trump und die Republikaner am Ende einen hohen politischen Preis zahlen könnten.

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