Krise trifft Aufsteigerländer in Osteuropa besonders hart

Prag. Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise treffen die mittel- und osteuropäischen Länder völlig unvorbereitet. Für viele ist es die erste Erfahrung mit wirtschaftlichen Problemen, nachdem es seit der politischen Wende fast ununterbrochen aufwärts ging

Prag. Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise treffen die mittel- und osteuropäischen Länder völlig unvorbereitet. Für viele ist es die erste Erfahrung mit wirtschaftlichen Problemen, nachdem es seit der politischen Wende fast ununterbrochen aufwärts ging. Wegen ihrer großen Abhängigkeit vom Export und der rasanten Entwertung der Landeswährungen stehen die ersten neuen EU-Länder vor existenziellen Problemen. Deutlich wurde das jetzt beim EU-Gipfeltreffen: Da forderte der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany Finanzhilfen von bis zu 190 Milliarden Euro für die betroffenen Länder.Am meisten Sorgen bereitet Experten die Aussicht, dass die Unternehmen der Region ihre Kredite nicht mehr bedienen können und so der gesamte Bankensektor ins Schlingern gerät. Die meisten der mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften stecken vor allem wegen ihrer Abhängigkeit vom Export in Schwierigkeiten: Ausländische Unternehmen hatten seit den 90er Jahren Hunderte Tochterfirmen in Polen, Tschechien, Ungarn, der Slowakei und anderen Ländern errichtet, um von dem niedrigeren Lohnniveau zu profitieren. Die dort gefertigten Produkte wurden vor allem nach Westeuropa ausgeführt. Seit dort die Nachfrage zusammengebrochen ist, darben die häufig nagelneuen Werke. "Wenn Deutschland unter Grippe leidet, bekommt Tschechien eine Lungenentzündung", sagt ein Prager Sprichwort, das sich gerade in der gesamten Region bewahrheitet.Die Länder werden von der Krise mit unterschiedlicher Härte erfasst. Besonders stark betroffen sind Ungarn und die nicht zur EU gehörige Ukraine. Tschechien hingegen, das derzeit wegen der europäischen Ratspräsidentschaft im Blickpunkt steht, ist weniger angeschlagen. Aus Prag waren deshalb schon in der Vergangenheit kritische Töne zu hören, wenn Ungarn Finanzhilfen für Mitteleuropa forderte. Tschechien benötige keine Unterstützung, sagte Finanzminister Miroslav Kalousek vor einigen Tagen. Gleichzeitig warnte er davor, die mitteleuropäischen Länder über einen Kamm zu scheren. Dabei schwingt offenbar die Sorge mit, in einen Abwärtssog hineingezogen zu werden.Bereits bei der Frage nach der Euro-Einführung zeigte sich Tschechien eigensinnig, lehnte seine Einführung ab. In den Nachbarländern gilt gerade der Euro als Rettungsanker. Damit ließen sich extreme Kursschwankungen verhindern. Tatsächlich steht die Slowakei, die den Euro im Januar eingeführt hat, besser da als ihre Nachbarländer. "Der Euro stabilisiert den gesamten Finanzsektor im Land", sagt Zdenek Lukas, Slowakei-Experte beim Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Für den Abschied von der Krone hat die Slowakei den letzten Moment erwischt: Die endgültige Entscheidung fiel Mitte des vergangenen Jahres vor Beginn der Krise. Deshalb konnten die Slowaken mitten in den weltweiten Turbulenzen ihre alten Kronen zu einem rekordverdächtigen Kurs eintauschen. Auf Dauer muss sich die Slowakei aber aus der Abhängigkeit von der Autoindustrie befreien - ein Problem, das sie mit Tschechien teilt. Nirgendwo anders auf der Welt werden pro Einwohner so viele Autos hergestellt wie gerade in diesen beiden Ländern. Skoda, Volkswagen, Peugeot, Citroën, Toyota, Kia und Hyundai unterhalten hier ihre Werke. Jetzt müssten die Regierungen eine gezielte Industriepolitik betreiben, um andere Branchen zu stärken.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort