Kretschmann macht Merkel Avancen

Berlin · Der Mann mit der weißen Igelfrisur, der so knurrig redet, kann auch ein Charmeur sein. Zumindest, wenn es um Angela Merkel geht. Winfried Kretschmann , baden-württembergischer Ministerpräsident und Grüner, hat in der Talksendung von Sandra Maischberger ein Loblied auf die Kanzlerin gesungen. Das gefällt naturgemäß nicht jedem, vor allem nicht seinen Parteifreunden. Doch das Verhältnis von Kretschmann und Merkel ist inniger, als viele vermutlich wissen.

Schwarz-Grün im Bund wäre für diese beiden Realpolitiker kein Problem. Kretschmann führt im Ländle eine grün-schwarze Koalition, Merkel hätte die Ökopaxe schon 2013 lieber ins Koalitionsbett geholt als die SPD . Inhaltlich liegt man ganz nah beieinander. Und so säuselte Kretschmann am Mittwochabend, die Kanzlerin sei derzeit "sehr wichtig in der europäischen Krise". Er ergänzte: "Ich wüsste niemanden, der diesen Job besser machen könnte als sie." So viel Lobhudelei hat Merkel lange nicht mehr zu hören bekommen, erst recht nicht vom politischen Gegner.

Was wie ein unverhohlener Koalitionsantrag für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl daher kam, sorgte gestern in Berlin für erstaunte Reaktionen. "Es geht in einen schwierigen Wahlkampf, mit offenen Koalitionsaussagen", wehrte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ab. Die bundespolitischen Überlegungen eines Großteils der Berliner Parteiführung sind im Moment andere: Man befindet sich auf Kuschelkurs mit der SPD und den Linken. Zuletzt wurde das deutlich bei einem gemeinsamen Treffen von Bundestagsabgeordneten aller drei Parteien im Reichstag, bei dem die Chancen für "Breilibü" - für ein breites linkes Bündnis - sondiert wurden. Die Fortsetzung der Gespräche folgt. Seitdem warnt die Union empört vor einem "Linksruck" der Republik.

Auch Grünen-Chefin Simone Peter zeigte sich "not amused" von Kretschmanns Flirt: Bei der Bundestagswahl 2017 träten die Grünen "für einen Politikwechsel in unserem Land" ein, betonte sie. "Dabei werden wir uns kritisch mit Merkels Politik auseinandersetzen." Kretschmann lassen solche Mahnungen allerdings kalt. Der 68-jährige Querkopf hat sich schon oft mit den eigenen Leuten angelegt. Das hat ihn berühmt und berüchtigt gemacht. Er weiß, wem die Grünen den Erfolg im Ländle zu verdanken haben - ausschließlich ihm als Person. Und Kretschmann hat darüber noch etwas anderes geschafft: Selbst für eingefleischte Unionsanhänger sind die Grünen ein Stück weit attraktiv geworden, seit er in vorderster Front mitmischt. Was wiederum für den linken Parteiflügel kaum auszuhalten ist.

Anfang des Jahres sorgte der Ministerpräsident schon einmal mit einem Interview für Aufsehen, in dem er kundtat, angesichts der Herausforderungen "bete" er jeden Tag dafür, "dass die Bundeskanzlerin gesund bleibt". Die politische Liebelei zeigt sich aber nicht nur in Worten, sondern auch darin, dass sich Merkel und Kretschmann häufiger treffen. Unlängst kamen sie in Berlin zu einem "vertraulichen" Essen zusammen, wie es hieß. So vertraulich, dass alle Welt davon erfuhr. Deshalb verwundert es nicht, dass Kretschmanns Name immer auch fällt, wenn es um die Nachfolge von Joachim Gauck geht. Am Sonntag kommen die Parteichefs von Union und SPD zusammen, um nach einem Kandidaten zu suchen. Das wäre eine Gelegenheit für Merkel, Kretschmanns Avancen zu erwidern.

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