„Kranker Mann aus Bayern“ ist politisch genesen

München · Es ist wieder einmal alles anders gekommen, als kluge politische Auguren es vorhergesagt hatten: Statt auf ein Rückzugsgefecht gegen drängelnde Diadochen kann sich CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer beim Parteitag in einer Woche auf Jubel und ein gutes bis sehr gutes Wiederwahlergebnis oberhalb der 90 Prozent einstellen.

Möglich gemacht hat es die Flüchtlingskrise.

Noch vor einem halben Jahr sah es trübe aus für die Restlaufzeit der Ära Seehofer: Lieblingsprojekte wie die Pkw-Maut und das Betreuungsgeld kippten und die SPD hatte den Christsozialen in der Berliner Koalition einige Kröten zu schlucken gezwungen. Doch dann holte CDU-Kanzlerin Angela Merkel die am Budapester Hauptbahnhof ausharrenden Flüchtlinge nach Deutschland und auf einmal war alles anders: Die Seehofer-CSU ging auf Gegenkurs zum Merkelschen "Wir schaffen das" und mit jedem neuen Bericht über die chaotischen Verhältnisse an der bayerisch-österreichischen Grenze wuchs in Bayern die Zustimmung zur restriktiven CSU-Flüchtlingspolitik.

Seither treiben die Christsozialen die anderen Koalitionsparteien vor sich her. Kaum hat Seehofer in Berlin eine seiner Forderungen mit mehr oder weniger Abstrichen nach anfänglich massivem Widerstand durchgesetzt, schon wird in München eine neue ausgebrütet. Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter bescheinigt dem CSU-Chef einen "schon fast präsidialen Führungsstil, nur handlungsfreudiger und initiativreicher als Merkel".

Die Reputation des schon als "kranken Mann aus Bayern" abgestempelten Seehofer hat nach Ansicht Oberreuters "im Bund ungeahnte Dimensionen" erreicht. Ein Zustand, der an der Parteibasis natürlich sehr gut ankommt. Bei seiner - nach eigenen Ankündigungen letzten - Wiederwahl zum Parteivorsitzenden wäre daher "ein gutes Wahlergebnis normal", meint Oberreuter. Es sei denn, es würden in den kommenden Tagen noch Intrigen gegen Seehofer angezettelt.

Und da richtet sich der Blick vor allem nach Nürnberg und auf den dortigen CSU-Bezirksvorsitzenden und Finanzminister Markus Söder , dem aktuell immer noch wahrscheinlichsten Nachfolger. Der war mit einigen spektakulären Vorschlägen zur Flüchtlingskrise vorgeprescht, von Seehofer aber jedes Mal zurückgepfiffen worden. Inzwischen habe sich Söder wieder "auf amtskonforme Politikfelder begeben", so Oberreuter. So sehen das auch CSU-Insider. Die Nachfolgediskussion werde ruhen. Oder aber sie könnte, meint Oberreuter, unter ganz anderen Vorzeichen wieder auferstehen: "Wer so erfolgreich und reputierlich ist - soll der überhaupt gehen?"

Der Auftritt der CDU-Chefin und Kanzlerin Merkel als Gastrednerin wird aber eine Herausforderung. "Ich rechne nicht damit, dass sie Pfiffe bekommt", meint ein führender CSU-Mann. Aber der Beifall für die Erfinderin des "Wir schaffen das", das vielen zu schaffen macht, werde sich wohl auf das Höflichkeitssoll beschränken. Im Entwurf des Parteitags-Leitantrags heißt es: "Die gegenwärtige Extremsituation in der Flüchtlingskrise ist eine Folge des Zustands der Rechtlosigkeit." Mit anderen Worten: Die Bundesregierung versagt.

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