Kraft oder Kraftilanti
Meinung · Die Parallelen sind verblüffend: Das Wahlergebnis von Nordrhein-Westfalen gleicht dem Ausgang der Hessenwahl vom Januar 2008 wie ein Ei dem anderen
Die Parallelen sind verblüffend: Das Wahlergebnis von Nordrhein-Westfalen gleicht dem Ausgang der Hessenwahl vom Januar 2008 wie ein Ei dem anderen. Aber werden auch die Folgen gleich sein? Wird die Nation nun Zeuge der Tragödie zweiter Teil - eines Schauspiels aus Selbstüberschätzung, Betrug und Verrat, das aus der SPD-Hoffnungsträgerin Andrea Ypsilanti eine traurige Figur machte? Wird also aus Hannelore Kraft womöglich Frau Kraftilanti? Nicht, wenn die SPD ihre hessische Lektion gelernt hat. Die zentrale Lehre von damals ist Geduld und taktisches Geschick. Dazu gehört die Einsicht, dass die CDU in NRW trotz allem stärkste Partei geworden ist. Daraus leitet sich ein Recht zur Regierungsbildung ab. Nach Lage der Dinge kann das aber nur die große Koalition sein, mit dem Anspruch, den Ministerpräsidenten zu stellen. Ob sich die SPD nach den schlechten Erfahrungen mit der großen Koalition in Berlin aber darauf einlässt, ist fraglich. Schließlich sind die Genossen, mit den Grünen, die "gefühlten Sieger" der NRW-Wahl. Richtig spannend wird es, wenn der hohe politische Preis, den die SPD für eine Junior-Rolle in einer großen Koalition fordern würde, die Zumutbarkeitsgrenze der Union übersteigt. Dann wäre es nach den demokratischen Spielregeln an der SPD, die politischen Fäden zu spinnen. So mancher Genosse träumt schon von der Ampel, und der FDP dürfte es schwer fallen, ihr selbst erklärtes Tabu für eine Koalition mit SPD und Grünen aufrecht zu erhalten - es sei denn, sie wollte ein rot-rot-grünes Bündnis provozieren. Aus bundespolitischer Sicht würde das Sinn machen, denn dies würde die SPD vor der nächsten Bundestagswahl zu einem Schwur zwingen, den kaum einer glauben könnte. Hannelore Kraft kann zwar immer argumentieren, dass sich die Notwendigkeit einer Koalition mit Linken und Grünen aus dem Scheitern der Ampel-Regierung ergäbe. Zumal Kraft die größte Ypsilanti-Dummheit nicht begangen hat, nämlich ein Zusammengehen mit den Linken definitiv auszuschließen. Aber die Folgewirkungen des Dreierbündnisses mit Grünen und Linken in NRW wären für die SPD im Bund unkalkulierbar. Sie müsste sich, um glaubwürdig zu bleiben und der "Ypsilanti-Falle" zu entgehen, für eine Zusammenarbeit mit den Linken öffnen. Ob die Zeit dafür schon reif ist, scheint zweifelhaft. Für Hannelore Kraft wäre der rot-rot-grüne Tabubruch jedenfalls ein Kraftakt. Aber die Gefahr, in einer großen Koalition die eben gewonnene Attraktivität wieder einzubüßen, ist auch nicht verlockend. So bleibt der SPD am Ende nur die Wahl zwischen zwei Übeln.