Kommissar Zweifel

Meinung · Michael Lee McCormick könnte tot sein. 17 Jahre wartete er in Tennessee auf seine Hinrichtung wegen Mordes an einem Apotheker. Dann bewies ein DNA-Test, dass ein Haar am Tatort nicht von ihm stammte

Michael Lee McCormick könnte tot sein. 17 Jahre wartete er in Tennessee auf seine Hinrichtung wegen Mordes an einem Apotheker. Dann bewies ein DNA-Test, dass ein Haar am Tatort nicht von ihm stammte. Die Mörderin der Saarbrücker Vorschullehrerin Elisabeth Link würde noch Mallorcas Sonne genießen, hätte nicht 2005, sieben Jahre nach der Tat, der Abgleich von DNA-Spuren an einer Tasse zu ihr geführt. Sie hatte mit ihrem Opfer Kaffee getrunken.Der genetische Fingerabdruck hat den Ermittlern Anfang des Jahrzehnts einen Quantensprung beschert. An dieser Erkenntnis ändert auch der Flop um das so genannte Phantom nichts. Aber es bleibt eine der größten Blamagen der Kriminalgeschichte, wenn Ermittler die Öffentlichkeit über Jahre mit der Jagd nach einer Verbrecherin in Atem halten, die es gar nicht gibt. Das wissen die Beteiligten selbst. Im Nachhinein ist man klüger. Dieser Satz, der in der Wirtschaftskrise häufig von Anlegern zu hören ist, passt auch hier. "Das hätte ich wissen müssen", wird sich in diesen Tagen mancher der beteiligten Polizisten sagen. Und wahrscheinlich hat der eine oder andere sogar geahnt, aber nicht an sich herangelassen, dass man auf der falschen Fährte ist. An 40 Tatorten war die DNA-Spur des weiblichen "Phantoms" gefunden, aber keine Frau gesichtet worden. Vermutete Komplizen konnten von der Unbekannten nichts berichten. Selbst eine 300 000-Euro-Belohnung brachte niemanden zum Sprechen. Und mit jeder Spur des "Phantoms" gab es neue Ungereimtheiten. Immer schwerer wurde es, eine Verbindung der vielen Taten herzustellen. Da war nur die gleiche DNA. Es gab kritische Fragen zu diesen Spuren, auch Überprüfungen auf Verunreinigungen. Angesichts des riesigen Ermittlungs-Aufwands darf man aber getrost sagen: Der Möglichkeit von Fehlern bei Spurensicherung und -analyse wurde nicht ausreichend Beachtung geschenkt. Haben die Ermittler zu sehr auf die neue, bejubelte Technik vertraut? Oder konnten Sie sich von der Vorstellung der Killer-Frau nicht lösen, weil sie sonst bei mehreren Verbrechen, darunter dem Mord an ihrer Heilbronner Kollegin, wieder bei Null waren? Oder ließen sie sich von den Medien treiben, für die das "Phantom" spannender Stoff war, der aus jedem Einbruch die Tat einer Killerin machte? Es gibt eine Lehre aus all dem: Auch Techniken, die Großes leisten, verdienen ein gesundes Misstrauen. Und das Gefühl, dass da was nicht stimmen kann, sollte man immer artikulieren. Die wichtigsten Erkenntnisse der Menschheit wurden gewonnen, weil jemand zweifelte.

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