Leitartikel Kohlekompromiss ist ein Vertrag zu Lasten Dritter

Rund 20 000 Arbeitsplätze fallen beim Kohleausstieg weg, mit den indirekten Effekten sind es rund 60 000. In der Lausitz, aber auch im rheinischen Revier. Als Ausgleich wurden bisher gefordert: Bis zu 54 Milliarden Euro von der deutschen Industrie für eventuelle Strompreissteigerungen.

Kommentar: Kohlekompromiss ist ein Vertrag zu Lasten Dritter
Foto: SZ/Roby Lorenz

Ein paar Extramilliarden für die Subventionierung der Netzentgelte, damit es auch für die normalen Stromkunden nicht teurer wird. Weitere 60 Milliarden verlangten die Ministerpräsidenten für die Infrastrukturentwicklung. Allein ihre Projektlisten sind 200 Seiten lang und lesen sich wie „Wünsch dir was“. Bis zu 24 Milliarden könnten zudem für die Entschädigungen der Kraftwerksbetreiber fällig werden, die im Grundsatz schon versprochen sind. Das macht zusammen rund 140 Milliarden Euro. Das wären, würde man es verteilen, sieben Millionen Euro cash für jeden Kohlearbeiter. Geht’s noch?

Die Lobbyforderungen zeigen, in welchem Geist hier Abschied genommen werden soll von der Kohleverbrennung, die die Umwelt schwer belastet. Es ist eine Vollkaskomentalität gegen technologische und ökonomische Umbrüche. Natürlich wird es nicht ganz so drastisch kommen an diesem Freitag bei der voraussichtlich letzten Sitzung der Kohlekommission. Der Kompromiss wird auf Gesamtkosten von 20 bis 40 Milliarden Euro hinauslaufen. Immer noch ein Strukturwandel de luxe.

Doch davon werden die einfachen Leute in der Lausitz oder im rheinischen Revier am wenigsten haben. Zuerst bedienen sich die Konzerne. So soll sogar das Kraftwerk Datteln noch zu Ende gebaut werden dürfen, um dann, hoch entschädigt, wieder vom Netz zu gehen. Überhaupt wird es ein sanfter Ausstieg werden, das Enddatum wird jenseits von 2030 liegen. Als ob es nicht schon 20 Jahre lang eine intensive Klimaschutzdebatte geben würde. Die hat die Branche einfach ausgesessen. Ob aber die Ersatzarbeitsplätze in den Braunkohlerevieren je entstehen, ob all die versprochenen Bahnstrecken und Internet-Anschlüsse auch Jobs nach sich ziehen, das ist höchst ungewiss. Von den paar Bundesbehörden einmal abgesehen, die hier angesiedelt werden sollen.

Mit der Kohlekommission hat sich die große Koalition eine perfekte Falle gebaut. Man dachte, wir stecken Ökos, Konzerne, Gewerkschaften und Lokalpolitiker einfach in einen Raum, dann müssen wir diese unangenehmen Entscheidungen im Zug der deutschen Energiewende nicht selbst treffen. Auch der Zeitpunkt ist eine perfekte Falle: Wahlen im Osten, die AfD im Nacken, die immer nur sagt: Lasst doch den ganzen Klimaquatsch. Heraus kommt nun eine Lösung zu Lasten Dritter, nämlich der Steuerzahler. Die Gegensätze werden mit Geld regelrecht zugeschüttet, für einen trotzdem – angesichts der deutschen Ziele beim Ausstoß von Kohlendioxid – noch langsamen Kohleausstieg. Das wird das Ergebnis sein. Freilich, wenn die Kommission ihren Bericht geschrieben hat, muss die Politik am Ende doch noch entscheiden, wie viel ihr der Klimaschutz wert ist. Und wie viel die Menschen in der Region.

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