König Fußball

Meinung · Seit einer Woche regiert "König Fußball" nun die Welt - naja, zumindest Europa. Schon vor vielen Jahrzehnten wurde die schönste Nebensache so majestätisch benannt, obwohl die öffentliche Inszenierung des Spektakels damals nicht annähernd die Dimensionen erreichte wie im Zeitalter des Web 3.0. "Alles fließt", sagten die Philosophen, heute heißt es: "Alles läuft

Seit einer Woche regiert "König Fußball" nun die Welt - naja, zumindest Europa. Schon vor vielen Jahrzehnten wurde die schönste Nebensache so majestätisch benannt, obwohl die öffentliche Inszenierung des Spektakels damals nicht annähernd die Dimensionen erreichte wie im Zeitalter des Web 3.0. "Alles fließt", sagten die Philosophen, heute heißt es: "Alles läuft." Der Ball, die Spieler, das Geschäft. Und zwar wie geschmiert.Es soll hier nicht lamentiert werden, dass die Uefa bei Großereignissen wie der Europameisterschaft Unsummen scheffelt, dass auch die Kicker Millionen verdienen. Den Geldsegen akzeptieren mittlerweile sogar Kritiker. Was viel interessanter ist, kann man während der EM täglich auf Straßen und Plätzen, in Kneipen, im Netz und im Fernsehen beobachten: die Bewegung der Massen. Angefeuert von den Medien, scheint es nur noch ein Thema zu geben, das als relevant empfunden wird: Fußball. Was ist dagegen schon das Ringen um den Fiskalpakt, der Streit um das Betreuungsgeld, das neueste Schreckens-Szenario um den Euro. Doch genau an dieser Schnittstelle erfüllt der Fußball seine Ventilfunktion in besonderer Weise. Er lenkt ab von Problemen, von den Zwängen der Gegenwart, von den Undurchsichtigkeiten des atemlos tickenden Erwerbslebens.

Deshalb dreht sich genau genommen auch nicht alles um den Ball, sondern um die Menschen: Sie feiern sich, vor allem wenn sie jung sind, gern selbst. Dieses Phänomen ist seit geraumer Zeit bekannt, es gehört zur Kultur der "Jeunesse dorée", permanent Party zu feiern, nach Spaß und "Events" zu gieren, "hip" zu sein. Das ist nicht weiter schlimm, aber durchaus ein Indiz für die zunehmende Seichtigkeit des Seins. Die Generation Facebook simst und twittert und postet, irgendetwas, Hauptsache man ist dabei und erlebt mit "Freunden" ein Gemeinschaftsgefühl. Und als wolle sich das Fernsehen dem Geschmack der neuen Zeit anpassen, nerven ARD und ZDF ihre Zuschauer mit allerlei digitalen Gimmicks, ständigen Einblendungen von Namen, Torschützen, Eckbällen und Ballkontakten (sowie mühsam kaschierter Werbung), die den klaren Blick auf das Wesentliche versperren.

Dem allgemeinen Trend kann oder will sich niemand widersetzen. Selbst seriöse Blätter und ihre Internet-Angebote sind vollgestopft mit Fußballgeschichten der trivialsten Art. Und wenn das Fernsehen seine Sonderkorrespondenten darüber berichten lässt, wie die Nationalspieler in den Bus steigen und in täglichen Pressekonferenzen die Nerven der Nation beruhigen mit tiefgründigen Bekenntnissen wie: "Ja gut, wir wollen gewinnen" - dann wissen wir, dass solch altvertraute Banalitäten die Krone dessen sind, was sich "König Fußball" nennt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort