Koalition der Bockigen

Die Bewältigung des Flüchtlingsansturms ist vermutlich eine noch größere Herausforderung als die Wiedervereinigung. Doch die große Koalition macht weiter auf zickig und bockig. Ist das ein Zeichen von Hilflosigkeit, vielleicht sogar von einem nahenden Ende?



So weit ist es noch lange nicht. Zumindest die Union konnte sich gestern nach langem und heftigem Streit auf gemeinsame Positionen in der Flüchtlingspolitik verständigen. Wobei die Kanzlerin der CSU schon vorher ihre Unterstützung bei den Transitzonen zugesichert hatte, um die Schwesterpartei ein wenig zu beschwichtigen. Die Frage ist nun jedoch, wie die Union ihren Koalitionspartner SPD überzeugen will. Die Sozialdemokraten haben mit ihrem Vorschlag der Einreise- und Registrierungszentren nämlich ein Konzept vorgelegt, das auf den ersten Blick deutlich praktikabler erscheint als die rechtlich höchst umstrittenen Transitzonen an den Landesgrenzen. Zum Showdown wird es nun wohl am Donnerstag kommen.

Ist jetzt aber wieder alles gut bei der Union? Als ob zwischen den Schwestern nichts gewesen wäre? Sicherlich nicht. Fest steht: In den vergangenen Wochen seit der Verabschiedung der Asylbeschleunigungsgesetze wurde viel schwarz-rotes Porzellan zerschlagen. Horst Seehofer stand massiv unter Druck, fast panisch reagierte der bayerische Ministerpräsident auf den Zustrom von Menschen über die österreichische Grenze. Mit seinen Attacken freilich kratzte er nachhaltig an Merkels Ruf der Unbesiegbaren, der Erfolgsgarantin. Wohl noch nie in ihrer Amtszeit stand die CDU-Chefin so unter Druck wie in den vergangenen Wochen - was nicht nur, aber auch hausgemacht war. Das wird die Kanzlerin dem Bayern so schnell nicht vergessen. Inzwischen sind die gegenseitigen Enttäuschungen sogar so groß, dass sie die gewaltigen Probleme nur noch verschärfen. Selbst wenn man sich gestern zusammengerauft hat, das Vertrauen zwischen Merkel und Seehofer dürfte dahin sein. In der jetzigen Situation, wo täglich Tausende Menschen nach Deutschland kommen und viele Kommunen an der Grenze der Belastbarkeit sind, ist das fatal.

Sicherlich wird die Koalition am Donnerstag irgendeinen Weg finden, um den Streit über die Transitzonen doch noch aus dem Weg zu räumen. Irgendeinen Handel, von dem alle Beteiligten glauben, dass sie damit ihr Gesicht einigermaßen wahren können. So funktioniert Politik, und mag die Krise noch so groß sein. Doch die Wunden, aufgerissen von gegenseitigen Angriffen innerhalb der Union und zwischen Union und SPD , werden damit nicht geheilt. Jetzt bestimmen Misstrauen und Argwohn die Politik der Partner. Mehr noch, als es sowieso schon der Fall war in diesem ungeliebten Bündnis. Keine guten Aussichten für die nächsten zwei Jahre bis zur Bundestagswahl.

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