Kleines Land mit großen Problemen

Brüssel · Es ist eine besonders bedrückende Ecke auf dem Hauptfriedhof Santa Maria Addolorata der maltesischen Hauptstadt Valletta. Irgendwo ganz hinten im Sektor D hören die Nummern der Gräber auf. Dort liegen verwelkte Blumen auf der Erde, ab und zu ein verdrecktes Stofftier, Spielzeug, Fotos. Es ist jene Stelle, an der die Behörden die Kinder begraben haben, die im Vorjahr mit den Flüchtlingsschiffen nach Europa unterwegs waren, aber gekentert sind und ertranken. Grabplätze ohne Namen.

Gerade mal 300 Quadratkilometer groß ist das kleinste EU-Land, das am 1. Januar den Vorsitz der 508 Millionen Einwohner starken Union übernimmt. Die 430 000 Einwohner auf den drei maltesischen Inseln (Malta, Gozo und Comino) haben nur ein Thema: eine Lösung der Flüchtlingsfrage. Der Archipel liegt direkt an der meistbenutzten Schlepperroute von Libyen nach Italien. Er ist zugleich Europas Vorposten auf hoher See. Wenn Flüchtlingsboote es nicht schaffen, lädt die italienische Marine in Valletta die Leichen ab, die Überlebenden bringt man nach Sizilien. Da in der EU immer noch die Dubliner Vorschriften gelten, denen zufolge das Land für die Aufnahme von Hilfesuchenden zuständig ist, das sie zuerst erreichen, führt die Inselgruppe seit Jahren die Asyl-Statistik an. 17 Zuwanderer auf 1000 Einwohner, das ist deutlich mehr als in Deutschland und sogar Schweden.

Kein Wunder, dass der sozialdemokratische Ministerpräsident Joseph Muscat (42) vor allem ein Problem im ersten Halbjahr 2017 lösen will: die gerechte Verteilung der anerkannten Asylbewerber. "Wir haben Schwierigkeiten nicht nur vor unserer Haustüre, sondern mitten in unserem Haus", schlug Innenminister Carmelo Abela (44) vor wenigen Wochen in Brüssel Alarm. Und machte damit zugleich klar, dass er ein Vorschlagspapier des slowakischen Ratsvorsitzes, der die EU in den zurückliegenden sechs Monaten geführt hat, nicht akzeptieren kann. Bratislava will den Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen, eine andere Form der Solidarität erlauben: Sie sollten pro Kopf rund 6000 Euro an die EU zahlen, um damit die Quote zu erfüllen. Für Malta undenkbar. "Wenn wir hunderttausende Migranten aufnehmen und die meisten anderen Länder uns nur Geld geben, werden wir untergehen", warnte Abela.

Bereits für Anfang Februar hat Premier Muscat die 26 Staats- und Regierungschefs (Großbritannien bleibt draußen) nach Valletta eingeladen. Dann soll über weitere Partnerschaftsabkommen mit afrikanischen Staaten beraten werden, um deren Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der EU zu vertiefen. Einziges Ziel: Der Flüchtlingsstrom muss versiegen.

Dabei hätte Malta noch genügend andere Probleme. Das kleine Land ist zwar durch die europäische Finanzkrise gekommen, hat aber nach wie vor große Schwierigkeiten, weil seine Banken eng mit den maroden italienischen Geldhäusern verbunden sind. Sein Ruf als Steuerparadies für russische Oligarchen erschütterte die Institute zusätzlich. Inzwischen steht Malta wieder einigermaßen stabil da, sieht sich aber hoffnungslos von der Aufgabe überfordert, die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Sechs Monate hat die Regierung in Valletta Zeit. Dann geht der Vorsitz der EU an Estland über.

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