Klare Kante ist gefragt

Sigmar Gabriel ist beim Parteitag seiner SPD in Berlin abgestraft worden. Angela Merkel könnte das Anfang nächster Woche bei ihrer CDU in Karlsruhe auch noch bevorstehen. Sie wird kämpfen müssen. Es sind unruhige Zeiten für Vorsitzende.

Weil es auch draußen unruhige Zeiten sind. Weil es eine Rückkehr des Politischen gibt. Es geht wieder um große Probleme, große Emotionen und damit große Entscheidungen. In den Parteien wie im Volk.

Beide Vorsitzenden der großen Volksparteien haben mit ihrer jeweiligen Basis zu kämpfen, allerdings aus sehr unterschiedlichen Gründen. Merkel ist zahlreichen CDU-Mitgliedern in der Flüchtlingsfrage zu links, viele wollen eine "Obergrenze". Man rebelliert zudem gegen die Machtworte, die sie neuerdings immer häufiger ausspricht. Gabriel dagegen ist seinen innerparteilichen Kritikern in der Flüchtlingsfrage und auch in manchem anderen Punkt zu rechts. Und: Er hat eher wenig Führung gezeigt.

Vielleicht liegt darin das Problem von Berlin. Eine Partei braucht auch Richtung, Linie, Kurs und klare Kante. Gerade die SPD , die zwar eine Volkspartei ist, zu Teilen aber auch ein esoterischer Haufen, in dem einige Mitglieder und Funktionäre fern jeglicher Realität manchmal schlicht ihre politischen Hobbys pflegen. Gabriel ließ das lange laufen, sah darin sogar sein Erfolgsgeheimnis und gefiel sich als Mediator. Führung, Mut zum Risiko? Während Frank-Walter Steinmeier , ein durchaus glaubwürdiger Vertreter für den Versuch friedlicher Konfliktlösungen, beim Parteitag forderte, die SPD müsse bereit sein, notfalls auch Militär einsätzen gegen Terroristen zuzustimmen, versprach Gabriel den Delegierten einen Mitgliederentscheid dazu. Der vom letzten SPD-Kanzler Gerhard Schröder noch per Vertrauensfrage durchgesetzte Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr wäre auf diesem Wege kaum möglich gewesen, die Intervention im Kosovo sowieso nicht. Und Deutschland wird mit diesem Verfahren sicher nicht bündnisfähiger.

Sein schlechtes Wahlergebnis hat Gabriel vor Augen geführt, dass eine Partei wie die SPD das nicht dankt. Wenn er mehr sein will als ihr Grüß-August und ein Vizekanzlerkandidat zum Verheizen bei der nächsten aussichtslosen Wahl, dann muss er führen. Auch mit Risiko. Dann muss er die SPD konsequent als Partei der Mitte positionieren. Der Wahl-Eklat von Berlin kam gerade zum richtigen Zeitpunkt. Denn man kann sich als Volkspartei ja auch mit 24 Prozent wohlfühlen: Alles in Ordnung, solange man wenigstens mitregiert. Die Gefahr liegt darin, dass man so mit der Zeit immer anspruchsloser wird. Und dass zugleich das Sektierertum gedeiht. Gabriel ist jetzt wachgerüttelt. Ob das auch für seine Partei gilt, muss sich erst noch zeigen.

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