Keine Opas nach Europa

Ein frisches Gesicht in der Europapolitik ist Jean-Claude Juncker nicht. Trotzdem verbreitet nun ausgerechnet der 59-Jährige so etwas wie Aufbruchstimmung in Brüssel. Zumindest lassen seine ersten Personalentscheidungen und die neue Arbeitsweise der Kommission optimistischer in die europäische Zukunft schauen.Juncker hat um gute Leute gekämpft und sie von vielen Regierungen auch bekommen.

Mehrere Ex-Premiers gehören der neuen Kommission an, mit dem Finnen Jyrki Katainen hat ein Ministerpräsident den Regierungschefsessel gar ohne Not gegen das Kommissars-Amt eingetauscht. Der alte Spruch "Hast Du einen Opa, schick' ihn nach Europa" gilt in einer Zeit zunehmender europäischer Vernetzung nicht mehr.

Günther Oettinger hat in dieser Konstellation keines der klassischen Topressorts abbekommen. Das muss kein Abstieg sein, da die Zuständigkeit für die Online-Wirtschaft mit der Urheberrechtsreform und der Schaffung eines digitalen Binnenmarkts Potenzial hat. Die größten Fragezeichen stehen freilich hinter dem Währungskommissar Pierre Moscovici aus Frankreich, der seinem eigenen Land die Schuldenmacherei austreiben soll, und dem Briten Jonathan Hill. Dass der EU-Kritiker als Finanzmarktregulierer dafür zuständig sein soll, die Auswüchse der Londoner City einzudämmen, ist eine Provokation.

Es ist dagegen ein starkes Signal, dass jene Staaten, die auf Junckers Wunsch Frauen nachnominiert haben, mit wichtigen Portfolios bedacht wurden. Das zeugt von Unabhängigkeit von den Hauptstädten, die der Kommission nur gut tun kann.

Denn sie sollte selbstbewusster auftreten und das europäische Interesse nicht danach definieren, was die französische und vor allem die deutsche Regierung dafür halten. In der Eurokrise drängten die Staats- und Regierungschefs die Barroso-Kommission an den Rand. Ausgeglichen wurde deren mangelnder Mut fatalerweise mit einer gewissen Penetranz auf gesetzgeberischen Nebenschauplätzen - Schlagworte sind Wasserprivatisierung, Olivenölkännchen oder VW-Gesetz. Eine gute EU-Kommission muss selbstbewusster und bescheidener zugleich auftreten, mithin politischer. Barroso verkündete gegen Ende seiner Amtszeit, Großes groß und Kleines klein machen zu wollen - es ist an Juncker, diesen Vorsatz zu beherzigen. Die reformierte Struktur kann dabei helfen. Denn es wird sieben Vize ohne eigenes Aufgabengebiet geben, die die Arbeit der ihnen zugeordneten Fachkollegen koordinieren sollen. Nicht jede Idee eines EU-Beamten muss zur Richtlinie werden. Es kann eigentlich nur besser werden in Brüssel. Der frühere Eurogruppenchef scheint das - bis auf ein paar unschöne Begleiterscheinungen - erkannt zu haben.

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