Keine neue Agenda 2010

Meinung · Die ersten Demonstrationen gegen die Sparbeschlüsse des Kabinetts waren am Wochenende für die Initiatoren eher enttäuschend. In Stuttgart wie in Berlin gingen jeweils weniger als 20 000 Menschen auf die Straße. Oskar Lafontaine äußerte danach die Hoffnung, dass sich künftig auch jene beteiligen, die vom Sparpaket nicht direkt betroffen sind

Die ersten Demonstrationen gegen die Sparbeschlüsse des Kabinetts waren am Wochenende für die Initiatoren eher enttäuschend. In Stuttgart wie in Berlin gingen jeweils weniger als 20 000 Menschen auf die Straße. Oskar Lafontaine äußerte danach die Hoffnung, dass sich künftig auch jene beteiligen, die vom Sparpaket nicht direkt betroffen sind. Und Links-Fraktionschef Gregor Gysi erinnerte daran, dass vor sechs Jahren bei der Agenda 2010 ein Einzelner eine ganze Protestwelle lostrat. Doch das Sparpaket der schwarz-gelben Regierung unterscheidet sich grundsätzlich von der Agenda 2010. Die damalige Politik betraf eine viel größere Zahl von Menschen, und sie war neu, ein Schock. Mit dem Prinzip Fordern und Fördern wurde schlagartig ernst gemacht; Langzeitarbeitslose wurden zu Sozialhilfeempfängern degradiert, mit allen Abhängigkeiten und Erniedrigungen, die damit verbunden sind. Der Sozialstaat zeigte sich plötzlich hart. Das löste auch Ablehnung bei vielen aus, die gar nicht direkt betroffen waren: Bei all jenen nämlich, die fürchteten, einmal arbeitslos zu werden. Schwarz-Gelb hingegen hat nun die Kürzungen sehr eng auf den Kreis der Hartz-IV-Bezieher beschränkt. Sie erhalten kein Elterngeld und keinen Rentenzuschuss mehr, auch soll der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger abgeschafft werden. All das ist höchst bitter für die Betroffenen, aber eben nur für sie. Der Wegfall des befristeten Zuschlages beim Übergang auf das Arbeitslosengeld II bildet eine Ausnahme, die aber überschaubar ist. So brutal es klingt: Gerade weil das Sparprogramm so einseitig die Schwächsten trifft, könnte der Protest in einer entsolidarisierten Gesellschaft begrenzt bleiben. Nicht wenige selbst ernannte "Leistungsträger" finden die Beschlüsse gegen die "Abzocker" explizit richtig.Eine Gemeinsamkeit zwischen damals und heute gibt es allerdings: Die Widerstände in den Regierungsparteien SPD und Grüne selbst gaben den Demonstranten 2004 das Gefühl, noch etwas bewegen zu können. Das trifft auch jetzt zu. In der Union wird der Ruf laut, die Sparbeschlüsse durch Steueranhebungen für die Reichen und durch eine Finanzmarkttransaktionssteuer zu ergänzen. Viele in der Union sorgen sich, dass sich der Unmut zwar nicht auf den Straßen, aber bei Wahlen entladen könnte. Verstärkt wird diese Sorge noch dadurch, dass außer den Hartz-IV-Empfängern die Beamten als einzige Gruppe spürbar belastet werden. Sie sind wichtige Multiplikatoren. In der CDU weiß man jedenfalls: Die Losung "Wir zahlen nicht für eure Krise" spricht Gefühle an, die weit über den Kreis der Demonstranten hinausgehen.

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