Keine Hoffnung, nirgends

So schrecklich es nach dem katastrophalen Gruben-Unglück in der Türkei klingen mag: Es gibt keine Hoffnung, noch Überlebende unter Tage zu finden – und es gibt praktisch keine Hoffnung auf baldige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in den Bergwerken oder in der Bauindustrie des Landes. Doch als wäre das alles nicht traurig und unverständlich genug, tut die Regierung Erdogan so, als sei die Empörung der Angehörigen der Opfer eine Provokation.

Einer der Berater des Ministerpräsidenten wurde sogar dabei fotografiert, wie er wütend einen Demonstranten tritt.

Natürlich versprechen Politiker jetzt, die Konsequenzen aus dem schwersten Unglück in der türkischen Wirtschaftsgeschichte zu ziehen: So forderte Staatspräsident Gül gestern schärfere Sicherheitsbestimmungen. Doch kaum jemand glaubt, dass dieses Versprechen auch eingelöst wird. Die türkischen Gewerkschaften sind zu schwach, um Unternehmen und Behörden zu einem Umdenken zu zwingen. Selbst bei Prestigeobjekten geht man buchstäblich über Leichen: Im April starben zwei Arbeiter beim Bau der neuen Bosporus-Brücke in Istanbul, der auf Befehl Erdogans hin mit hohem Tempo vorangetrieben wird.

Der Premier muss nicht befürchten, bei der Präsidentenwahl im August für das Versagen seiner Regierung beim Thema Arbeitssicherheit zur Rechenschaft gezogen zu werden. Denn die Vernachlässigung der Arbeitnehmerrechte hat in der Türkei eine lange Tradition. Die heutige Opposition verhielt sich in ihrer Regierungszeit nicht viel anders als das Kabinett Erdogan.

Der Ministerpräsident demonstrierte bereits am Mittwoch sehr eindrucksvoll, wie sicher er sich fühlt. In Bergwerken gebe es nun einmal Unfälle, "so etwas passiert halt", selbst in den hoch industrialisierten Staaten des Westens sei das so, sagte er bei einem Besuch am Ort der Katastrophe. Von Entlassung oder Rücktritt zuständiger Minister war keine Rede.

Wenn es einen Funken Hoffnung gibt nach der Tragödie, dann ist es die Reaktion vieler jungen Türken. Sie weigern sich, Unglücke wie das von Soma als Schicksal hinzunehmen. Und sie zeigen mit Demonstrationen, dass sie sich selbst und ihre Landsleute nicht mehr von geldgierigen Unternehmen verheizen lassen wollen, ohne dass der Staat etwas dagegen unternimmt. Bei der kommenden Wahl wird das wohl kaum etwas verändern, möglicherweise aber in den nächsten Jahren, wenn diese junge Generation das Ruder übernehmen wird.

Kurzfristig wird es weitere Proteste geben, der Widerstandsgeist der Unruhen des vergangenen Jahres ist neu erwacht. Doch ob das bei Erdogan Eindruck macht, muss bezweifelt werden. Bisher reagiert seine Polizei wie immer: mit Tränengas und Wasserwerfern.

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