Keine Bananenrepublik

Natürlich gehört der Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs, die Strafbarkeit der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts oder Regierungsmitglieds, schleunigst abgeschafft. Majestätsbeleidigung, was soll denn das im 21. Jahrhundert?

Und dann muss auch noch die Bundesregierung jedes Mal darüber entscheiden, ob er angewendet wird, was die Sache automatisch zur Staatsaffäre macht. Diese nach dem persischen Schah benannte Vorschrift ist überholt und idiotisch, wie der Fall Böhmermann zeigt. Aber zum "Tatzeitpunkt", als der Satiriker sein kunstvoll eingebettetes Schmäh gedicht vortrug, da galt sie eben noch.

Angela Merkel hat sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber es ist letztlich richtig, die Bewertung des Falles der Justiz zu überlassen. In einem freiheitlichen Rechtsstaat darf die Exekutive Verfahren gegen Künstler und Kritiker nicht aus politischen Gründen anstrengen, wie das in der Türkei täglich geschieht. Sie darf sie aber auch nicht aus politischen Gründen unterdrücken. Im Übrigen: Böhmermann wird ja jetzt nicht an die Türkei ausgeliefert. Sondern der Beurteilung deutscher Staatsanwälte und Richter überantwortet. Es gibt Schlimmeres.

Das Verweigern von Ermittlungen wäre politisch weit populärer gewesen. Merkel hätte sich den Vorwurf erspart, vor Erdogan einzuknicken oder einen Eingriff in die Kunstfreiheit zuzulassen. Aber mit Blick auf rechtstaatliche Grundsätze wäre das weit schwieriger zu begründen gewesen. Erst recht gilt das für die Idee der SPD , den Paragrafen 103 schnell noch zu streichen. Das hätte so ausgesehen, als sei in Wahrheit Deutschland auf dem Weg in eine Bananenrepublik, die sich das Recht zurechtbiegt, und nicht die Türkei unter Erdogan. Dass die SPD regierungsintern für eine andere Lösung gekämpft hat, ist normal. Dass sie sich aber im Nachhinein öffentlich von der Entscheidung absetzt, ist beschämend. Da machen sich die Genossen zu Lasten der Kanzlerin einen schlanken Fuß.

Es gibt ganz sicher andere Probleme als so einen Satirestreit. Sinnlos aber war er nicht. Er hat gezeigt: Gesetze müssen ständig neuen Situationen angepasst oder, wie in diesem Fall, sogar abgeschafft werden. Das Recht ist nicht statisch. Bisherige Begrenzungen der Freiheitsrechte werden durch neue Techniken, Darstellungsformen und Denkweisen in Frage gestellt. Tabus fallen, neue werden errichtet. Das muss in freiheitlichen Gesellschaften immer wieder austariert und diskutiert werden, mit aller damit verbundenen Aufregung. Ob es der Satz "Soldaten sind Mörder" ist, eine blasphemische Karikatur oder eben die Schmähung eines Potentaten. Und es sind immer wieder die Provokateure, die diese Punkte offenlegen. Danke dafür, Jan Böhmermann.

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