Kein Umweltschutz ohne Kampf gegen die Armut

Saarbrücken. In dieser Woche treffen sich 100 Staats- und Regierungschef zur UN-Konferenz in Rio de Janeiro. Einem Ort mit Symbolkraft: Beim "Erdgipfel" im Jahr 1992 setzte sich dort ein Saarländer engagiert für eine "nachhaltige Entwicklung" ein: der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer

Saarbrücken. In dieser Woche treffen sich 100 Staats- und Regierungschef zur UN-Konferenz in Rio de Janeiro. Einem Ort mit Symbolkraft: Beim "Erdgipfel" im Jahr 1992 setzte sich dort ein Saarländer engagiert für eine "nachhaltige Entwicklung" ein: der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer.20 Jahre später kann man sich trefflich streiten, ob das Glas halb voll oder eher halb leer ist. Für mich ist wichtig: Rio hat auf der ganzen Welt eine Diskussion darüber in Gang gesetzt, wie wir leben und wirtschaften können, ohne den nachfolgenden Generationen und den Menschen in den ärmeren Ländern ihre Chancen auf ein gutes Leben zu beschneiden. Vielen, die um den Zustand unseres Planeten besorgt sind, mag das zu wenig sein. Ja, es stimmt: Viele globale Umweltprobleme haben sich verschärft. Dennoch: Es gibt ermutigende Zeichen, dass es voran geht. 2011 wurde weltweit erstmals mehr Geld in erneuerbare Energien investiert als in Atom- und Kohlekraftwerke. Waldschutz wird inzwischen in vielen Ländern mit Regenwald sehr ernst genommen, auch wenn die Waldzerstörung noch erschreckend hoch ist. In der Ostsee beobachten wir, dass sich Fischbestände erstaunlich erholen können, wenngleich die Überfischung weiter ein großes Problem bleibt. Das Bevölkerungswachstum in vielen Ländern ist spürbar zurückgegangen. Auch in sozialer Hinsicht sind Entwicklungsfortschritte unübersehbar. Indien war vor 20 Jahren bitterarm; die Armut dort hat sich deutlich verringert.

Rio hat das Motto "Global denken - lokal handeln" in vielen Köpfen verankert. Für mich heißt das: Hier und jetzt kann jeder etwas für die Zukunft unseres Planeten tun! Ja, es geht neben "großer Politik" auch um vermeintliche Kleinigkeiten: keine Lebensmittel wegwerfen zum Beispiel. Oder die Plastiktüte beim Einkauf freundlich, aber bestimmt ablehnen! Der Schutz des Klimas ist ohne Zweifel ein globales Problem. Aber die Energiewende müssen wir lokal umsetzen. Durchmogeln mit Hinweis auf andere gilt nicht. Wer die Energiewende will, muss Windräder und Stromleitungen vor seiner Haustür akzeptieren.

Global denken heißt, globale Zusammenhänge zu sehen. Die Welt ist längst zu einem Dorf geworden. Internationale Arbeitsteilung und Welthandel tragen entscheidend zu unserem Wohlstand bei. Wir dürfen es uns in den reichen westlichen Industriestaaten nicht zu leicht machen und die Nachhaltigkeit einseitig auf das Ökologische beschränken. Umweltschutz und Armutsbekämpfung lassen sich nicht trennen. Armut zu bekämpfen, ohne wirtschaftliche Entwicklung - also Wachstum - zuzulassen, funktioniert nicht.

Daher verfolge ich die Debatte über "Wohlstand ohne Wachstum" mit Interesse. Keine Frage: Das Bruttoinlandsprodukt ist kein alleiniger Maßstab für ein "gutes Leben". Wachstum um jeden Preis ist nicht erstrebenswert. Doch die globale Entwicklung zeigt eben, dass es wachsenden Wohlstandes bedarf, damit Staaten zwei zentrale Probleme angehen können: Bevölkerungswachstum und Umweltverschmutzung. Einem Bauer, der seine Familie nicht satt bekommt, kann man nicht ernsthaft vorhalten, er gefährde durch Waldrodung ökologische Systeme. Es muss deshalb auch 20 Jahre nach Rio unser Ziel sein, Schritt für Schritt das anzugehen, was Klaus Töpfer treffend "nachhaltige Entwicklung" genannt hat. In der Politik, aber auch ganz privat. Das ist spannend genug.

Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ist Ministerpräsidentin des Saarlandes.

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