Kein Sterbehilfeland

Der wichtigere Beschluss war wohl schon am Tag zuvor gefallen. Als es im Bundestag nämlich nicht, wie gestern, um die Beihilfe zum Suizid durch Ärzte oder Sterbehilfevereine ging, sondern um die Palliativmedizin . Um ein Lebensende in Würde, am besten zu Hause, am besten ohne Schmerzen.

"Mehr Lebenshilfe statt Sterbehilfe " forderte der durch die Krankheit ALS vollständig gelähmte Journalist Benedict Maria Mülder kürzlich in einem Kommentar, den er mithilfe seiner Augenbewegungen schrieb. Dass das Thema überhaupt eine solche Dimension bekommen hat, liegt eben auch daran, dass der Tod in unserer Gesellschaft oft so unwürdig daher kommt: verzweifelt, allein, im Krankenhaus, im Heim. Davor hat jeder Angst. Die Palliativmedizin wird nun verbessert, die Mittel dafür werden aufgestockt. Nicht ausreichend zwar, aber es ist doch ein erster Schritt.

Der zweite Grund für die Debatte ist der drohende Verlust einer moralischen "roten Linie". Ob es Ärzte sind, die sich regelrecht auf die Sterbehilfe spezialisiert haben, oder Vereine, die mal mit, mal ohne Gewinnabsicht beim Sterben helfen - immer wird dabei ein Rubikon überschritten. Er besteht darin, dass durch den organisierten Ablauf, die scheinbar problemlose Form ein Druck entsteht: Komm, Oma, hier hast du die Adresse - du weißt, was du zu tun hast. Das korrespondiert mit der Vereinzelung der Sterbenden, ist sozusagen die organisierte, sogar kommerzielle Antwort darauf.

Derartiges Treiben wird nun unter Strafe gestellt. Zwar bleibt die Wirkung des Beschlusses begrenzt, denn die entsprechenden Adressen in der Schweiz, in Holland oder Belgien wird es ja weiterhin geben. Aber Deutschland will ein solches Sterbehilfeland (noch) nicht sein. Das hat die Bundestagsmehrheit gestern nach einem langen und eindrucksvollen Diskussionsprozess mit ebenso eindrucksvoller Mehrheit festgehalten.

Ebenso wichtig ist freilich, dass es trotzdem noch Auswege gibt. Ein Totalverbot, wie es einige forderten, hätte bedeutet, einen Zwang zum Leben zu verordnen. Wer wollte ein so mächtiger Richter sein? Ärzte müssen auch weiter im Einzelfall eine Therapie abbrechen oder ein Medikament zur Verfügung stellen können, auch Angehörige müssen das dürfen, solange der freie Wille des Sterbenden klar erkennbar ist.

Das Klügste zu diesem Thema hat außerhalb des Parlaments der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering formuliert, der vor einigen Jahren seine eigene Frau beim Sterben begleitet hat. Der Mensch sei ein Unikat, sagte Müntefering. Jedes Leben sei ein Unikat, jedes Sterben auch. Es gebe keine Regelung für alle Fälle. Gut, dass der Bundestag einer solchen Versuchung nicht erlegen ist.

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