Karlsruhe richtet über die Hinterzimmer-Politik

Karlsruhe · In der Politik wird manchmal sehr hart um einen Kompromiss gerungen: Als letzten Schritt muss so manches Gesetzesvorhaben daher den Weg über den Vermittlungsausschuss oder informelle Runden gehen. Inwieweit hier bei der Suche nach dem Konsens verfassungsrechtliche Formalien eingehalten werden müssen, prüft das Bundesverfassungsgericht ab heute.

(Az.: 2 BvE 1/11)

Den Richtern liegt eine Klage der Bundestagsfraktion der Linken vor. Diese sieht sich bei der Hartz-IV-Reform 2011 in ihren verfassungsrechtlich verbrieften Rechten verletzt. Sie kritisiert, bei einer vom Vermittlungsausschuss eingesetzten Arbeitsgruppe und bei einer informellen Gesprächsrunde übergangen worden zu sein.

Die Hartz-IV-Reform war vom Verfassungsgericht verlangt worden. Doch der von der damaligen schwarz-gelben Koalition ausgearbeitete Vorschlag zur Erhöhung des Regelsatzes und zum Bildungspaket für bedürftige Kinder scheiterte im Dezember 2010 im Bundesrat. Es war ein Fall für den Vermittlungsausschuss, der sich aus 16 Vertretern der Länder und 16 nach den Fraktionsstärken ausgewählten Abgeordneten des Bundestages zusammensetzt. Dieser setzte wiederum eine Arbeitsgruppe ein. Sie sollte erste Kompromissmöglichkeiten sondieren. Auf Bundestagsseite waren dort Union und SPD mit je drei Abgeordneten vertreten, Grüne und FDP mit je einem. Die Linke ging leer aus. Erst als sie beim Verfassungsgericht einen Eilantrag einreichte, bekam sie einen Platz.

Aber die Arbeitsgruppe konnte sich nicht auf einen mehrheitsfähigen Vorschlag einigen. Man beschloss daher im Januar 2011, sich in einer informellen Gesprächsrunde zu treffen. Hier war die Linke wieder nicht mit im Boot. Wer überhaupt daran teilgenommen hat, ist unklar.

Die Linke sieht deswegen ihre Parteienrechte verletzt. Sie will erreichen, dass sich auch die Zusammensetzung der Arbeitsgruppen und Gesprächsrunden streng spiegelbildlich nach der des Bundestags richtet - und die kleinen Oppositionsparteien so zum Zuge kommen.

Der Prozessverteidiger des Vermittlungsausschusses, Staatsrechtler Heinrich Amadeus Wolff, sieht das anders: "Beim Vermittlungsausschuss geht es um den Versuch, eine schnelle Lösung für politische Meinungsverschiedenheiten zu finden", sagt er. Je stärker dieser Prozess formalisiert werde, desto schwerer werde der Konsens.

Die Richter wollen - wie aus ihrer Verhandlungsgliederung hervorgeht - auch die Funktion von Arbeitsgruppen und Gesprächsrunden prüfen. Dabei könnte zur Sprache kommen, wie die Politik in Berlin überhaupt funktioniert. Ob die offiziellen Gremien das bestimmende Moment für einen Konsens sind oder die inoffiziellen Gespräche im Hinterzimmer.

Auf den politischen Sachverstand ihres Richterkollegen Peter Müller werden sie dabei allerdings verzichten müssen: Denn Müller war damals noch Ministerpräsident im Saarland. Der Ex-Politiker ist daher laut Verfassungsgericht per Gesetz vom Verfahren ausgeschlossen, so dass auf der Richterbank nur sieben Juristen sitzen werden. Müller hätte den anderen jedoch einiges aus dem Nähkästchen berichten können: Denn er war damals auf Bundesratsseite nicht nur Mitglied des Vermittlungsausschusses, sondern auch Teil der Arbeitsgruppe.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort