Kardinäle auf der Flucht vor der Verantwortung

Rom. Oscar Rodríguez Maradiaga spricht seinen Kollegen aus dem Herzen: "Ich fühle mich nicht geeignet Papst zu werden. Das ist eine unerbittliche Aufgabe ohne Rast, bei der keine Zeit mehr für sich selbst bleibt." Die Worte des Kardinals aus Honduras und derzeitigen Caritas-Chefs mögen wirken wie das taktische Tiefstapeln eines Favoriten für die Nachfolge von Benedikt XVI

Rom. Oscar Rodríguez Maradiaga spricht seinen Kollegen aus dem Herzen: "Ich fühle mich nicht geeignet Papst zu werden. Das ist eine unerbittliche Aufgabe ohne Rast, bei der keine Zeit mehr für sich selbst bleibt." Die Worte des Kardinals aus Honduras und derzeitigen Caritas-Chefs mögen wirken wie das taktische Tiefstapeln eines Favoriten für die Nachfolge von Benedikt XVI. Doch im Kern sehen wohl die meisten der 117 Kardinäle, die ab Mitte März im Konklave den neuen Papst wählen werden, die Sache ähnlich. Vor allem die acht Jahre des Pontifikats von Joseph Ratzinger haben gezeigt: Papst sein ist angesichts der Verhältnisse, in denen sich die Weltkirche und die Kurie befinden, keine beneidenswerte Aufgabe.Kardinal Giovanni Lajolo beispielsweise sagt, seine eigenen Chancen auf den Stuhl Petri seien "gleich Null". Und das beruhige ihn sehr, fügt der 78-Jährige hinzu. Seine Gedanken seien bei den "armen Kardinälen, die in diesen Tagen als zukünftiger Papst gehandelt werden". Kardinal Javier Lozano Barragán, der die Altersgrenze von 80 Jahren überschritten hat und deshalb nicht mehr ins Konklave einziehen darf, wirkt ebenfalls erleichtert. Die Verantwortung, einen Papst zu wählen, will er nicht noch einmal tragen.

Die Flucht vor dem höchsten Amt der Christenheit ist in vollem Gange. Doch so sicher wie das Unwohlsein vieler Prälaten beim Gedanken an die Nachfolge Benedikts ist auch, dass vor Ostern ein neuer Papst gewählt sein wird. Die 117 wahlberechtigten Purpurträger werden sich in den kommenden Wochen in Rom versammeln und ab Mitte März so lange in der Sixtinischen Kapelle ausharren, bis ein Kandidat auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit, also 78 Stimmen gekommen ist. Über das Job-Profil des neuen Pontifex besteht im Kollegium und bei Beobachtern weitgehend Einigkeit - es ergibt sich vor allem aus den Schwächen des scheidenden Oberhaupts.

Benedikt gilt zwar als exzellenter Theologe und Kirchenlehrer. Seine Unfähigkeit zur Führung hat Kurie und Kirche jedoch in eine schwere Krise gestürzt, aus der sein Nachfolger die Institution befreien soll. Der neue Papst muss deshalb vor allem Führungsqualitäten und Kommunikationstalent beweisen. Außerdem soll er physisch in Form, also eher jünger sein und darf als theologische Instanz nicht zu sehr von Ratzingers Niveau abfallen. Und am Besten hat er zusätzlich das Charisma und die Spiritualität von Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. Diese Eigenschaften lichten das Favoriten-Feld bereits erheblich. In diesem Zusammenhang wirkt etwa die Wahl des gegenwärtigen Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone unwahrscheinlich: Er ist nicht nur 79 Jahre alt, sondern in weiten Teilen der Kurie unbeliebt und gilt dort als Urheber schwerer Spannungen.

Die Personalie Bertone wirft auch ein Licht auf die oft als Favoriten gehandelten und mit 28 Kandidaten am stärksten vertretenen italienischen Kardinäle. Der Vatileaks-Skandal hat Risse unter den Italienern in der Kurie offenbart. Um einen Verschärfung zu vermeiden, ist es deshalb durchaus möglich, dass nach dem Polen Karol Wojtyla und dem Deutschen Joseph Ratzinger erneut ein Nicht-Italiener Papst wird. Wie es sich aber insgesamt mit den Favoriten verhält, darüber schafft der römische Volksmund Klarheit. Er weiß: Wer als Papst ins Konklave geht, kommt meist als Kardinal wieder heraus.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort