Junckers verpasster Abgang

Wer Jean-Claude Juncker einmal im Gespräch und in Debatten erlebt hat, weiß: Dieser Mann lässt sich nicht das Wort verbieten. Mit einer spitzbübischen Art und als beinharter Verhandlungsführer gehört er zu den Politikern, die nicht nur aufgrund ihrer langen Amtszeit selten geworden sind.

Auch in der Art, Vorteile für sich und sein Land herauszuarbeiten und gleichzeitig alle Partner mit ins Boot zu nehmen, war und ist Juncker seinen politischen Weggefährten und europäischen Amtskollegen um Jahre voraus.

Nun hat sich Juncker in der wohl wichtigsten Entscheidung seines politischen Lebens selbst ein Bein gestellt. Auch wenn er Fehler in der Luxemburger Geheimdienstaffäre sehr emotional und mit der ihm eigenen Dramatik einräumt, so drückt er sich doch um einen Abgang in Würde. Über die politische Verantwortung illegaler Abhörpraktiken mag man streiten. Dass er nach 30 Jahren in der Regierung, davon 18 Jahre als Chef, an seinem Posten zu kleben scheint, wirkt jedoch unsouverän. Zumal sein Koalitionspartner ihm die Kooperation aufkündigt. Seine Reaktion zeigt jedoch auch, wes Geistes Kind er ist: Juncker, der Machtpolitiker - durch und durch.

Die Verdienste des 58-Jährigem auf internationalem Parkett sind unumstritten: Luxemburg hat seit dem Amtsantritt 1985 an Bedeutung gewonnen, inzwischen sind seine Landsleute die reichsten Bürger Europas, das Land selbst ist bekannt als attraktiver Finanzplatz. In der europäischen Politik hat sich Jean-Claude Juncker unentbehrlich gemacht. Als Mr. Euro hat er die Gemeinschaftswährung quasi miterfunden. In zahlreichen Nachtsitzungen kämpfte er bis zur körperlichen Erschöpfung für den Erhalt seines Lebenswerkes - mit Klugheit, aber auch mit dem ihm eigenen Sinn für Humor. Nun hat Juncker, dem einmal der Titel "Goldenes Schlitzohr" verliehen wurde, seinen Charme und seine Nonchalance nicht mehr zum eigenen Nutzen einsetzen können.

Was bleibt von dem wohl aufreibendsten Politik-Tag in der Luxemburger Nachkriegsgeschichte? Eine Rosskur für Parteien, Behörden und Verwaltungen muss her. Wo über Jahre hinweg Behördenleiter nach Belieben schalten und nach Gutdünken walten konnten, muss aufgeräumt werden. Wo Strukturen dermaßen verkrustet sind, dass über Jahrzehnte die rechte Hand nicht mehr weiß, was die linke tut, muss Transparenz her.

Kein leichter Job für einen Regierungschef. Ob dieser am Ende Jean-Claude Juncker heißt, ist nicht klar. Klar ist nur, dass der politische Führer eine Menge alte Zöpfe abschneiden muss. Und dies in einem Land, wo jeder jeden zu kennen scheint und persönliche Kontakte bisweilen vielen Karrieren auf die Sprünge geholfen haben. Es bleibt spannend im Nachbarland.

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