Juncker geht ins Risiko

Das plötzliche Einlenken Jean-Claude Junckers gibt zu denken. Noch bevor seine EU-Kommission gestern ihre öffentliche Stellungnahme zu den eingereichten Haushaltsentwürfen der Euro-Mitgliedsstaaten abgab, gewährte er Frankreich, Italien und Belgien Aufschub.

Die drei Länder verstoßen wegen hoher Staatsverschuldungen gegen den Wirtschafts- und Stabilitätspakt . Ein Pakt, der eigentlich geschlossen wurde, um zu verhindern, dass sich die Mitgliedsstaaten gegenseitig in eine finanzielle Abwärtsspirale ziehen. Doch Juncker denkt nicht daran, Paris endlich Einhalt beim Schuldenmachen zu gebieten. "Die Länder mögen die Lektionen nicht, die aus Brüssel kommen", meint er. Kleine Staaten nicht, weil sie sich gegenüber den großen benachteiligt fühlten. Große, weil sie selbst bestimmen wollten, was zu tun ist.

Dass Juncker solche Einwände vorschiebt, um plötzlich den Druck von ausgerechnet jenem Mitgliedsstaat zu nehmen, dem Brüssel schon zweimal Aufschub gewährt hat, ist gefährlich. Gerade erst erholen sich krisengeschüttelte Länder wie Griechenland und Zypern von den schlimmsten Folgen der Finanzkrise. Sie sind noch immer einem strengen Sparplan unterworfen. Die Nachwehen dieser Politik sind in Spanien und Portugal noch längst nicht ausgestanden. Wie bitter muss die Botschaft Junckers in ihren Ohren klingen, der noch bis 2013 als Vorsitzender der Eurogruppe unerbittliche Forderungen an diese Länder stellte?

Längst gesellen sich zu der Liste der Sorgenkinder im Euroraum auch Länder, die man bisher nicht unbedingt auf dem Schirm hatte, wie etwa Österreich. Und selbst Musterschüler wie Deutschland können mittlerweile nur noch mit verhaltenen Wachstumsprognosen aufwarten. Die Konjunktur will Juncker nun mit seinem 315 Milliarden Euro schweren Investitionspaket wieder in Schwung bringen. Letztlich beruht dieses allerdings nur auf acht Milliarden, die aus dem EU-Budget abgezwackt wurden, und weiteren fünf Milliarden, die die Europäische Investitionsbank beisteuern soll. Schlussendlich setzt Juncker auf einen günstigen "Hebel": Damit seine Finanzspritze für die Wirtschaft ein Erfolg wird, braucht er die Unterstützung der Mitgliedsstaaten - auch der Krisenländer . Weil Juncker das weiß, ist er auf die Defizit-Sünder zugegangen. Auch sie sollen kräftig in den neu gegründeten Fonds einzahlen - was zunächst bedeutet, die Schulden zu erhöhen.

Es ist eine gewagte Strategie. Sie kann nur aufgehen, wenn alle Mitgliedsstaaten mitziehen, der Wachstums-Impuls zündet - und auch die öffentlichen Kassen wieder füllt. Wenn Junckers Strategie scheitert, könnte der EU eine noch größere Finanzkrise drohen, als jene, die sie gerade erst überstanden hat.

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