Brückeneinsturz Italiens Regierung will die Verantwortung abschieben

Italien ist der traurige Protagonist dieses Sommers. In einer Schlucht in Kalabrien wurden am Montag zehn Wanderer Opfer eines unerwartet starken Regenfalls. Eine Woche zuvor starben 43 Menschen beim Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua.

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Foto: SZ/Lorenz, Robby

Seit bald drei Monaten ist eine neue Regierung im Amt, die vor allem durch schockierende Auftritte heraussticht. Sie weist Migranten, die über das Mittelmeer flüchten, in italienischen Häfen ab. Nach dem Einsturz der Autobahnbrücke surft die Regierung auf einer Welle der Empörung, die das Land durchzieht.

Bevor die Unglücksursache festgestellt ist, haben die Minister von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega die Schuldigen bereits in der Investoren-Familie Benetton ausgemacht, die die Aktienmehrheit an der Autobahn-Betreibergesellschaft hält. Innenminister Matteo Salvini, der Mann, der maßgeblich die ultraharte Asylpolitik verantwortet, zeigte sein Talent als Lippenleser der Massen, als er die Sparpolitik der EU für den Brückeneinsturz mitverantwortlich machte. Je unbeliebter und ungreifbarer Menschen oder Institutionen sind, desto schneller werden sie in Italien derzeit als Schuldige abgestempelt. Nicht nur Flüchtlinge sollen mit immer radikaleren Methoden abgewehrt werden. Auch die Verantwortung für viele Missstände wird kollektiv abgeschoben. Die Regierung verstärkt nur einen Effekt, der auch im Kleinen etabliert ist. Selten erkennen die Menschen die Ursache für Missstände bei ihnen selbst, es ist viel einfacher, die oft ungreifbaren Institutionen oder andere für die Versäumnisse verantwortlich zu machen.

Das gilt auch für die italienischen Staatsfinanzen. Das Land ächzt bekanntlich unter einer Staatsschuld von rund 2,3 Billionen Euro. Im Turnus wird das abstrakte Gebilde der EU für die finanzielle Not der Staatskassen verantwortlich gemacht, obwohl etliche nationale Regierungen mit horrender Staatsverschuldung ihr Land und den Kontinent sehenden Auges ins Dilemma manövrierten.

Auch im Fall der eingestürzten Autobahnbrücke zeigt die italienische Regierung nun voreilig mit dem Finger auf die vermeintlichen Schuldigen. Richtig ist: Die Stabilität der Brücke war seit Jahrzehnten fraglich, Fachleute und politische Entscheider haben es aus noch unbekannten Gründen versäumt, die Sicherheit des Viadukts zu gewährleisten.

Auch hier greift es aber zu kurz, ein paar Techniker als Sündenböcke abzustempeln. Die Frage ist, was aus einer angekündigten Tragödie wie in Genua zu lernen sein könnte. Ist es wirklich mit einem großen Investitionsplan für die Infrastruktur in Italien und akkuraten Sicherheitsmaßnahmen getan? Dabei gibt es auch in diesem Fall Hinweise darauf, dass die Entwicklung unserer Gesellschaften in einer Sackgasse steckt. Diskutiert wird über Umgehungsstraßen, aber kaum darüber, wie dem Anstieg von Transport und Verkehr beizukommen ist. Das Dogma des unendlichen Wachstums liegt vielen aktuellen Problemen zugrunde, in Italien drängen sie gerade auffällig an die Oberfläche.

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