Großbritannien Ist Boris Johnsons Zeit als Premier bald abgelaufen?

London · Als Boris Johnson am Dienstag neue Pläne vorstellte, um gegen die schwerste Rezession seit 300 Jahren zu steuern, wurde der britische Premierminister auch nach den gerade verschärften Corona-Maßnahmen gefragt.

 Verspürt angeblich keine Freude mehr am Job des  Premiers: Boris Johnson.

Verspürt angeblich keine Freude mehr am Job des  Premiers: Boris Johnson.

Foto: dpa/Jessica Taylor

Darf man im Nordosten Englands nun Menschen aus einem anderen Haushalt im Pub treffen, aber nicht im heimischen Garten? Johnson wurstelte wortreich an seinem Pult herum, eine konkrete Antwort blieb er der Nation schuldig. Eher verwirrt wirkte er – und man konnte angesichts der konfusen Regeln, die derzeit im Königreich gelten, fast Mitleid mit ihm haben, wäre es nicht der Regierungschef selbst, der dem Land abermals erhebliche Einschränkungen auferlegt hat. Nur weil diese sich ständig ändern, mit Ausnahmen gespickt sind und sich in den Landesteilen unterscheiden, blickt kaum noch jemand durch.

Als „extrem inkompetent“ bezeichnete die Labour-Partei den Premier im Anschluss. Das Problem für Johnson ist jedoch, dass nicht nur die Opposition wütet, sondern auch innerhalb seiner konservativen Reihen die Kritik an dem Chaos täglich lauter wird. Mittlerweile bereiten rund 50 Tory-Abgeordnete eine Revolte gegen den mit Notstandsbefugnissen regierenden Johnson vor. Jede Woche gleiche „einer Feuerprobe“, hieß es von einem Konservativen. Einem anderen Parlamentarier zufolge schäumen die Kollegen vor Wut. „Natürlich verstehen sie, dass Boris Johnson die letzte Wahl gewonnen hat, aber es liegt ein wirklich aufrührerisches Gefühl in der Luft, eine Empfindung, dass er die Kontrolle über seine eigene Partei verloren hat.“

Dabei ist Johnsons Triumph noch nicht einmal ein Jahr her. An die Macht gespült, nachdem seine Vorgängerin Theresa May am Dauerdrama Brexit scheiterte, fuhr er bei den Neuwahlen im Dezember für die Tories eine Mehrheit von 80 Sitzen im Unterhaus ein. Johnson wurde von seinen Anhängern beinahe wie ein Messias gefeiert. Folglich wollte der Premier nach dem offiziellen Ausstieg aus der EU am 31. Januar dieses Jahres mit dem Königreich in ein „neues Zeitalter“ aufbrechen. Dann kam Corona. Und seitdem geht es bergab für den 56-Jährigen. Erst verkannte er den Ernst der Lage, leitete Maßnahmen zu spät ein, es folgte eine Panne und Kehrwende nach der anderen. Hinzu kam, dass Johnson selbst schwer an Covid-19 erkrankte. Nach eigenem Bekunden ist er wieder „fit wie ein Metzgerhund“.

Doch nach einem miserablen Krisenmanagement, mehr als 42 000 Toten und weiterhin unklaren Botschaften aus der Downing Street liegt das Königreich wirtschaftlich und mental am Boden. Umfragen zeigen, dass ein Großteil der Briten das Vertrauen in ihren Regierungschef verloren hat. Dafür holt der Oppositionsführer Keir Starmer in Sachen Kompetenz und Führungsstärke auf. Zu Corona kommt der Streitpunkt Brexit. Dass Downing Street kürzlich ankündigte, mit einem umstrittenen Gesetz Teile des bereits ratifizierten Austrittsvertrags untergraben und damit internationales Recht brechen zu wollen, stieß vielen Konservativen auf, die um die globale Reputation Großbritanniens fürchten.

Bislang lässt Johnson alle Kritik an sich abprallen. Gleichwohl mehren sich die Stimmen aus dem Hintergrund, die darauf spekulieren, dass seine Zeit bald schon abgelaufen sein könnte. Kommt für den Premier wirklich ein Rücktritt in Frage? Oder soll er ausgewechselt werden, wie einige Beobachter andeuten? Berichten zufolge verspüre Johnson angeblich keine Freude mehr am Job des Premiers. Und auch das Gehalt von 150 000 Pfund, rund 165 000 Euro, sei zu knapp bemessen. Wieder einmal melden sich die Kommentatoren zu Wort, die darauf verweisen, dass Johnson stets Premierminister werden wollte – und gewesen sein möchte. „Nur aktueller Premier sein will er nicht.“

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