Beziehung zu Deutschland Ist China für Deutschland der verlässlichere Partner?

Derzeit lässt sich eine historische Verschiebung der politischen Bündnislinien live beobachten. Ganz wie erwartet öffnet Donald Trumps Wahlspruch "America First" weltpolitische Freiräume, die andere Akteure eilig besetzen. Zuletzt haben der G7- und der Nato-Gipfel die übrigen Teilnehmer tief enttäuscht hinterlassen. Wenn die Kanzlerin danach das transatlantische Bündnis infrage stellt, dann freut sich der lachende Dritte: China. Das wird sich heute und morgen zeigen, wenn Premier Li Keqiang erst die deutsche Regierung in Berlin und dann die EU in Brüssel besucht.

 Finn Mayer-Kuckuk

Finn Mayer-Kuckuk

Foto: Saarbrücker Zeitung

Auf die Amerikaner ist nicht mehr so richtig Verlass, sagt die deutsche Kanzlerin. Das bedeutet nicht gleich, dass die Chinesen in jeder Hinsicht der bessere Partner ist. Die politischen Werte der USA und Deutschlands stimmen insgesamt noch immer besser überein, selbst in Zeiten von Trump - in Amerika gibt es schließlich noch freie Presse und Demokratie.

Doch etwas anderes hat plötzlich an Bedeutung gewonnen: praktische Verlässlichkeit und konkrete gemeinsame Interessen. Und hier passen Deutschland und China gut zusammen. Vor allem bei Klimaschutz und offenen Märkten: Auch wenn nicht alles perfekt ist, halten China und Deutschland Kurs.

Wenn die USA ausfallen und Europa sich nach neuen Partnern umsieht, dann ist China die logische Wahl. China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, ein riesiger Markt, größter Investor. Weil China und Europa weit genug voneinander entfernt liegen, fehlen Streitpunkte wie der Besitz von Inseln oder der Umgang mit Flüchtlingen.

Für Peking wäre eine neue Offenheit der Europäer ein großes Geschenk. Denn China ist in Asien eher unbeliebt, sucht dringend Bündnisse. Li und seine Gesprächspartner werden sich also zusammenreißen, um ein Kontrastprogramm zu den desaströsen Verhandlungen mit Donald Trump zu bieten. Im vergangenen Jahr endete der EU-China-Gipfel noch im Streit. Nun ist alles anders. Diplomaten in Peking erwarten, dass es Ende der Woche eine starke gemeinsame Erklärung mit Bekenntnis zum Klimaschutz und zu offenen Märkten geben wird.

In den vergangenen Monaten hat sich auf beiden Seiten bereits der Ton verändert. Auffällig ist der Kontrast zwischen zwei Besuchen von Sigmar Gabriel in Peking. Im Herbst war er als Wirtschaftsminister dort, nun als Außenminister. Vor einem halben Jahr gab es Zoff und abgesagte Gespräche, diesmal weitreichendes Entgegenkommen.

Merkel und die anderen EU-Politiker müssen aber aufpassen und in der Sache hart bleiben. Auch China setzt seine eigenen Interessen konsequent durch. Die Europäer sollten die Menschenrechtsfrage ansprechen und den Umgang mit Nordkorea. Wenn alles gut geht, sinkt mittelfristig die Abhängigkeit von den USA. Nach Merkels Äußerungen vom Sonntag muss dies das Ziel der deutschen Außenpolitik sein.

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