Iraker entscheiden über die Einheit des Landes

Bagdad · Inmitten der wiederkehrenden Gräuel der Vergangenheit, eskalierender Gewalt und Terrordrohungen werden die Iraker morgen ein neues Parlament wählen. Dieser erste nationale Urnengang seit Rückzug der US-Truppen Ende 2011 könnte die Zukunft des Landes besiegeln.



Längst ist die Euphorie verflogen, die die Iraker bei den ersten Wahlen nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 trotz anhaltender Gewalt zu den Urnen gedrängt hatte. Tiefe Enttäuschung über die unerfüllten Versprechen der politischen Führer, über Machtmissbrauch, Korruption und Gleichgültigkeit angesichts der ökonomischen und sozialen Nöte stürzt einen großen Teil der Bevölkerung in politische Apathie. Die sich stetig verschlimmernde Sicherheitslage tut dabei noch das Ihre. Von der Weltöffentlichkeit ignoriert, starben seit Jahresbeginn rund 3000 Menschen durch Terror. Reißende Slogans und nicht politische Programme dominierten den Wahlkampf, in dem sich fast alle politischen Gruppierungen, mit Ausnahme von dessen eigener "Allianz für den Rechtsstaat" für ein Ende der Ära des Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki einsetzten. Zugleich suchen gewalttätige Islamisten, wie die mit Al-Qaida verbündete sunnitische ISIS ("Islamischer Staat des Iraks und Groß-Syriens"), ebenso wie ihre im Iran ausgebildeten schiitischen Gegenspieler politische Legitimität durch diese Wahlen.

Dabei steckt der Irak elf Jahre nach der Befreiung von mehr als 30 Jahren Diktatur in einer zunehmend schweren existenziellen Krise. Große Bevölkerungskreise werden geplagt von bitterer Armut, einem zusammengebrochenen Gesundheits- und Bildungssystem und einer mangelhaften Infrastruktur, Kriminalität und Terror. Eigeninteressen der politischen Führer, gravierende Korruption, Machtkämpfe, die das Land zu politischer Stagnation führten, tragen dafür die Hauptverantwortung. Maliki, nach den letzten Parlamentswahlen 2010 auf amerikanischen und iranischen Druck zum zweiten Mal zum Premier gekürt, nutzte das Machtvakuum nach dem Abzug der US-Truppen im Dezember 2011, um eine zentralistische Herrschaft in Bagdad aufzubauen und stieß dabei die Kurden und arabischen Sunniten zunehmend vor den Kopf. Dennoch halten politische Analysten einen erneuten Wahlsieg Malikis für möglich. Nicht nur kontrolliert er die Staatsfinanzen, Militär und Polizei, die er skrupellos für seine Interessen einsetzt, er verstand es auch raffiniert, die Uneinigkeit seiner Gegner zu nutzen. Zwar haben sich erstmals gemäßigte Islamisten unter Führung des jungen Schiitengeistlichen Ammar al-Hakim gemeinsam mit säkularen Gruppen zur "Bürger-Koalition" vereint, die dem Irak Hoffnung auf eine gemäßigte neue politische Kraft gibt. Doch erscheint es ungewiss, dass diese Allianz bei einer durch Hass-Slogans auf Angehörige der jeweils anderen konfessionellen Gruppe verängstigten Bevölkerung eine entscheidende Mehrheit erhalten kann.

Gewinnt Maliki eine dritte Amtsperiode und hält an seiner Strategie fest, dann droht dem Irak eine neue Diktatur, noch mehr Gewalt und im schlimmsten Fall die Spaltung. Schon haben die Kurden ihre Bereitschaft bekräftigt, sich vollends vom Irak loszulösen, und neun andere Provinzen, sunnitische, aber auch überwiegend von Schiiten bewohnte ölreiche Regionen im Süden fordern Autonomie.

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