Integration braucht Gesicht

Es ist ein „Ja, aber“, das der Europäische Menschenrechtsgerichtshof gestern ausgesprochen hat. Ja zum Burka-Verbot in Frankreich, aber nein zu einer Schlechterstellung der fünf Millionen Muslime.

Die Straßburger Richter wussten, dass das Thema heikel ist - vor allem in Frankreich , das die größte muslimische Gemeinde Europas hat. Denn schnell kann ein Verbot des Ganzkörperschleiers in einer Diskriminierung aller Kopftuchträgerinnen münden. Die Richter erinnerten deshalb an die islamfeindlichen Töne, die die Einführung des Burka-Verbotes vor gut drei Jahren begleiteten. Und sie warnten vor Intoleranz. Zu Recht, denn der rechtspopulistische Front National hetzt regelmäßig gegen die französischen Muslime .

So verglich Parteichefin Marine Le Pen die Straßengebete gläubiger Muslime mit der Nazi-Besatzung Frankreichs. In den Schulkantinen will sie wieder Schweinefleisch verteilen lassen, obwohl in vielen Schulen die meisten Kinder Muslime sind. Hinter ihrem Einsatz für das laizistische Frankreich , in dem Staat und Religion streng getrennt sind, steckt eine islam-feindliche Haltung. Das islamische Kopftuch will die Tochter von Jean-Marie Le Pen ebenso wie die jüdische Kippa aus Geschäften, Verkehrsmitteln und von der Straße verbannen. Genau das wollen die Straßburger Richter aber nicht. Sie weisen ausdrücklich darauf hin, dass in Frankreich nur die Vollverschleierung des Gesichts verboten ist und eben nicht das Kopftuch. Ein deutlicher Seitenhieb gegen alle, die das in Schulen geltende Kopftuchverbot auf die Universitäten ausweiten wollen.

Denn nur das Zusammenleben mit Menschen, die ihr Gesicht bis auf einen kleinen Schlitz verdecken, ist schwierig, befand die Große Kammer des Menschenrechtsgerichts. In der Tat grenzen sich die rund 2000 Frauen, die in Frankreich die Burka tragen, selbst aus. Sie schotten sich unter ihrem Stoff ab, den sie wie die Klägerin von Straßburg manchmal sogar freiwillig tragen. Doch Integration kann unter dem Ganzkörperschleier nicht gelingen. Vor allem nicht in einer Gesellschaft wie der französischen, in der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau herrscht.

Die gemäßigten Muslime in Frankreich wissen das. Deshalb sagte der Rektor der Großen Moschee von Paris mitten in der Debatte um das Burka-Verbot den viel beachteten Satz: "Das Tragen der Burka entspricht formell nicht den islamischen Vorschriften." Dalil Boubakeur stemmte sich deshalb nicht gegen das Gesetz, das den Ganzkörperschleier verbietet. Er weiß, dass Abschottung nicht zu Integration führt. Die kann nur in der täglichen Begegnung gelingen: in Schulen , am Arbeitsplatz und in den Vereinen - und nur ohne ein komplett verhülltes Gesicht.

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