Insel der Hartherzigen

Wann hat Großbritannien sein Mitgefühl verloren? Wann wurde aus dem liberalen Land ein Staat, in dem Flüchtlinge mit Insekten gleichgesetzt werden? Warum will das auf die eigene Vergangenheit so stolze Königreich vergessen, wie es einst verfolgten Juden oder flüchtenden Afrikanern ein neues Zuhause gegeben hat?

"Großbritannien ist kein sicherer Hafen für Migranten", polterte Premierminister David Cameron vergangene Woche und kündigte härtere Maßnahmen gegen illegale Einwanderung an. Abschreckung lautet seine Lösung. Als ob sich Menschen, die von Verzweiflung getrieben sind, durch höhere Zäune und mehr Hundestaffeln aufhalten ließen.

Oder von strengeren Gesetzen und Regelungen bei der Wohnungssuche auf britischem Boden. Viele der etwa 3000 Menschen, die im französischen Calais auf eine Einreise nach Großbritannien warten, haben Terror, Krieg, Elend und politische Repression hinter sich. In Syrien und im Irak. Im Sudan und in Eritrea. Vor dem Eurotunnel, dem Nadelöhr der Flüchtlinge auf der letzten Etappe ihrer Reise, haben sie keine Angst.

Ein Eldorado erwartet sie im Königreich keineswegs. Während Cameron eine scharfe Rhetorik bemüht, hetzt ein Großteil der britischen Presse hartherzig und auf teilweise beschämende Art gegen die Menschen. Die Boulevardzeitung "Daily Mail" schrieb: "Wir haben Hitler am Einzug gehindert. Warum schaffen es unsere kläglichen Politiker nicht, ein paar Tausend erschöpfte Flüchtlinge abzuwehren?" Ein anderes Blatt forderte, nur die Armee könne eine "Invasion" beziehungsweise den "Migrationswahnsinn" stoppen. Die Rechtspopulisten um Nigel Farage, Chef der Anti-EU-Partei Ukip, nehmen diese Steilvorlagen gerne auf und setzen auf Panikmache. Dabei beantragten in den ersten vier Monaten dieses Jahres nicht einmal 10 000 Menschen Asyl in Großbritannien - in Deutschland kamen allein im Juli knapp 80 000.

Natürlich unterstützt nicht jeder Brite den harten Kurs in der Flüchtlingspolitik . Aber das Mitleid vieler Schreihälse, auch in den Regierungsreihen, gilt leider allzu oft nicht den Flüchtlingen, sondern den Urlaubern und Verkehrsteilnehmern, die am Eingang des Ärmelkanaltunnels blockiert werden. London sträubt sich vehement gegen eine Quoten-Regelung für die Verteilung der Flüchtlinge in der EU. Downing Street gibt vor, dass das Flüchtlingsproblem kein britisches ist. Sollen es doch andere lösen - die EU, zu der viele Konservative nicht gehören wollen. Cameron und Co. vergessen dabei, dass sie ihren Stacheldraht nicht gegen Kriminelle einsetzen. Sie schotten sich gegen Hilfsbedürftige ohne Stimme ab. Europa muss eine ganzheitliche Lösung finden. Doch zuallererst wäre Menschlichkeit angebracht. Vor allem in London.

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