In Russland steht längst die Zivilität auf dem Spiel

Moskau · Russland schottet sich in rasantem Tempo weiter ab. Am Wochenende unterzeichnete Wladimir Putin das Gesetz über "unerwünschte Organisationen", das ausländischen Nichtregierungsorganisationen in Russland jederzeit die Arbeit verbieten kann.

Illusionen sind fehl am Platze. Ein für allemal will Moskau den Kontakt zu Initiativen kappen, die Freiheit und Menschenrechte auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Doch nicht der Westen in toto ist Adressat. Kontakte zu rechtspopulistischen und faschistoiden Einrichtungen baut Moskau zielstrebig aus. Auch antieuropäische Meinungsmacher erfahren stete Aufmerksamkeit und Förderung.

Tatsächlicher Gegner des Gesetzes ist jedoch Russlands Zivilgesellschaft. Es ist die Angst vor der Freiheit der anderen, die den Kreml treibt. Die Furcht vor einem Subjekt, das sich Aufrichtig- und Wahrhaftigkeit verpflichtet fühlt und den Mut zum Widerspruch auch im Angesicht erdrückender Übermacht nicht verliert. Das treibt die machthabenden Zyniker um. Der Angriff richtet sich nicht mehr nur gegen die Einrichtungen der Zivilgesellschaft - in Russland steht längst die Zivilität als solche auf dem Spiel. Nach der Niederlage im WM-Eishockeyfinale verließ das russische Team das Feld noch vor dem Abspielen der Hymne des Siegers aus Kanada. Nicht einmal mehr ein Minimum an Regeln wird eingehalten. Russland schert aus und folgt Kodices, die das eigene Wesen wie selbstverständlich überhöhen. Demnächst könnte als Verräter gelten, wer dem Sieger noch Achtung erweist, fürchtete einer der wenigen schockierten Beobachter.

Vor dieser Entwicklung ist das Einreiseverbot des CDU-Bundestagsabgeordneten Karl-Georg Wellmann zwar eine unschöne Geste, aber nicht viel mehr als eine Retourkutsche für westliche Sanktionen. Auch russische Politiker müssen in der EU und den USA vorerst draußen bleiben. Im russischen Rechtsverständnis ist dies nichts anderes als die Wiederherstellung von Gerechtigkeit. So erklärt Russland sich und anderen auch die Annexion der Krim. Da treffen zwei Welten aufeinander, die weit mehr trennt als nur abweichende Rechtsauslegungen. Zugegeben, darüber müsste man reden. Wellmanns Ausschluss ist - wenn kein bürokratisches Versehen vorliegt - dennoch ein unmissverständliches Signal: kein Bedarf an Gesprächsaufnahme. Zumindest solange der Westen nicht bereit ist, dem Kreml eine großzügige Opfergabe darzubringen.

Vielleicht sollte Europa diese Haltung des Kremls ernst nehmen und sich erst einmal zurückziehen. Ewig betteln versaut die Haltung. Zumal das Buhlen um Gesprächsbereitschaft Moskau übermütiger werden lässt und im infantilen Maximalismus noch bestärkt. Also: Zurücknehmen bis der Nasenring schmerzt, an dem China - der neue umworbene Partner - den Bären durch die Manege dirigieren wird. Auf Dauer wird das kein Honigschlecken. Schon gar nicht für die so genannte Elite. Sie glaubt sich dem Rest der Welt überlegen und impft dies nun auch dem Volk ein.

Ausgerechnet Russland, das im Umgang mit dem Westen nach Augenhöhe verlangt und die vermeintliche Ungleichbehandlung zum Anlass nahm, an den Fundamenten der Sicherheitsarchitektur zu rütteln. Für Überlegenheitsfantasien dürfte der neue Verbündete China kein Verständnis haben. Die Chinesen wissen, wo der Hammer hängt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort