Analyse In Israel bahnt sich ein Regierungsbündnis gegen Ministerpräsident Netanjahu an. Allerdings sieht es nach einem politischen Flickenteppich aus. Die Zeichen stehen auf ein Ende der Ära Netanjahu

Tel Aviv · In Israel bahnt sich ein Regierungsbündnis gegen Ministerpräsident Netanjahu an. Allerdings sieht es nach einem politischen Flickenteppich aus.

 Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kämpft gegen seine Ablösung.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kämpft gegen seine Ablösung.

Foto: dpa/Maya Alleruzzo

(dpa) In Israel zeichnet sich eine Koalition zur Ablösung des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ab. Der Chef der ultrarechten Jamina-Partei, Naftali Bennett, sagte am Sonntag, er werde alles unternehmen, um ein Bündnis mit Oppositionsführer Jair Lapid von der Zukunftspartei zu schließen. Ziel ist nach Medienberichten eine Rotation im Amt des Ministerpräsidenten: Zuerst soll Ex-Verteidigungsminister Bennett dieses für zwei Jahre übernehmen, dann wäre Lapid an der Reihe.

Falls eine solche Regierung tatsächlich zustande kommt, wäre die Ära Netanjahu beendet. Der heute 71-Jährige ist Ministerpräsident seit 2009. Zuvor stand der Politiker bereits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre an der Spitze der Regierung.

Netanjahu warf Bennett nach dessen Mitteilung am Abend vor, er habe sein Wahlkampfversprechen gebrochen, keine Koalition mit Lapid zu bilden. Der Likud-Vorsitzende warnte vor einer „gefährlichen linken Regierung“ und rief zur Bildung einer „guten rechten Regierung“ auf. Bennett sagte zuvor jedoch, es sei deutlich geworden, dass die Bildung einer rechten Regierung gegenwärtig unmöglich sei. Die einzigen Optionen seien eine fünfte Wahl oder eine Einheitsregierung mit Lapid.

Bei der Parlamentswahl am 23. März war Lapids Zukunftspartei, angesiedelt in der politischen Mitte, zweitstärkste Kraft hinter Netanjahus Likud geworden. Die vierte Wahl binnen zwei Jahren ergab jedoch wieder keine klaren Mehrheitsverhältnisse. Netanjahu war mit der Bildung einer Regierung gescheitert, am 5. Mai beauftragte Staatspräsident Reuven Rivlin daher Lapid. Das Mandat gilt nur noch bis Mittwochmitternacht.

Nach einer offiziellen Verkündung des Bündnisses mit Bennett müsste Lapid zunächst Rivlin informieren und hätte dann sieben Tage Zeit für die Vereidigung der Regierung im Parlament. Dafür ist eine einfache Mehrheit der 120 Abgeordneten notwendig. Sollte dies gelingen, wäre die Ära Netanjahu vorbei. Länger hat in Israel noch nie ein Regierungschef amtiert.

Netanjahu kämpfte am Wochenende weiter gegen seine Ablösung. Am Sonntag bot er Bennett sowie seinem Erzrivalen Gideon Saar von der rechtsorientierten Partei Tikva Chadascha (Neue Hoffnung) noch eine Koalition mit Rotation der drei im Amt des Ministerpräsidenten an und sprach er von einem „schicksalhaften Moment für die Sicherheit, den Charakter und die Zukunft des Staates Israel“. Saar, der nach diesem Vorschlag als erster Regierungschef werden sollte, lehnte den Vorschlag jedoch ab.

Lapids Zukunftspartei führte am Sonntag Koalitionsgespräche mit Saars Tikva Chadascha (Neue Hoffnung). Sie hat bereits Vereinbarungen mit der linksliberalen Meretz-Partei, der Arbeitspartei sowie der ultrarechten Partei Israel Beitenu von Ex-Außenminister Avigdor Lieberman getroffen. Lapid will mehrere kleine Parteien hinter sich versammeln, die im politischen Spektrum weit auseinander liegen. Es würde sich dabei vermutlich um eine Minderheitsregierung handeln, die von arabischen Abgeordneten geduldet wird.

Die Parteien eint vor allem die Ablehnung Netanjahus, gegen den ein Korruptionsprozess läuft. Ihre politischen Ziele klaffen jedoch weit auseinander, die erwartete Regierung ähnelt einem politischen Flickenteppich. Die Politik-Expertin Tal Schneider sagte am Sonntag, in den Koalitionsvereinbarungen wäre ein schwieriger Spagat bei Themen wie der Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern nötig. Netanjahu sehe sie nach seiner Ablösung in der Rolle eines aktiven Oppositionsführers. „Er denkt wahrscheinlich, dass diese Regierung sehr schnell zusammenbrechen wird“, sagte Schneider. In dem Fall baue er auf seinen Sieg bei einer weiteren Neuwahl. „Er plant vermutlich, ziemlich bald eine fünfte Wahl abzuhalten.“

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