In Griechenland erlebt Europa seine Schicksalswahl

Berlin. Es erfordert wenig Fantasie, um vorherzusagen, dass das griechische Chaos nach diesem Wahlsonntag noch schlimmer werden wird. Schon jetzt ist ein Staat in Auflösung zu sehen, eine Gesellschaft in Panik und eine Ökonomie im Zusammenbruch

Berlin. Es erfordert wenig Fantasie, um vorherzusagen, dass das griechische Chaos nach diesem Wahlsonntag noch schlimmer werden wird. Schon jetzt ist ein Staat in Auflösung zu sehen, eine Gesellschaft in Panik und eine Ökonomie im Zusammenbruch. Wenn die radikale Linke des Alexis Tsipras gewinnen sollte, oder, was ebenso wahrscheinlich ist, sich erneut keine regierungsfähige Mehrheit findet, rutscht das Land vollends in den Abgrund. Und selbst wenn beides nicht geschieht, ist es nur noch schwer zu retten.Europa steht vor der Frage, ob es den Austritt Griechenlands aus dem Euro hinnimmt oder gar betreibt - und noch in diesem Jahr Hilfskonvois schickt. Oder ob es Athen Neuverhandlungen gewährt, um das Sanierungsprogramm abzumildern. Das heißt noch mehr Geld, vielleicht in ein Fass ohne Boden.

Allerdings, wer meint, ein Ende mit Schrecken sei besser für alle, der könnte sich irren. Die Brandmauern zu den anderen Krisenländern mögen jetzt höher sein als früher - dass sie hoch genug sind, ist keinesfalls sicher. Es zu testen, ist ein sehr riskantes Experiment. Wenn nämlich Spanien unter ähnlichen Druck geraten sollte, dann ist schnell auch Italien dran, dann Frankreich und Belgien und so weiter. Und dann ist auch Deutschland überfordert. Die Kanzlerin hat gerade erst im Bundestag darauf hingewiesen.

Viel schlimmer noch ist die psychologische Wirkung des Austritts-Szenarios. Wenn ein Land den Euro-Raum verlassen muss, weil ihm niemand mehr hilft oder helfen kann, dann ist das der Beweis dafür, dass dieser Raum als Gemeinschaft nicht funktioniert. Und tatsächlich ist es ja so, wie Angela Merkel kritisiert hat: Der Währungsunion ist bisher keine politische Union gefolgt. Jeder konnte in Europa machen, was er wollte, auch Schulden und Schlendrian. Nationale Finanzhoheit bei gemeinsamer Währungsabhängigkeit, das konnte nicht gut gehen.

Wenn Griechenland die Drachme wieder einführen muss, heißt das für die Welt: Das gemeinsame Boot Europa gibt es gar nicht. Jeder ist sich im Zweifel selbst der Nächste. Was dann bleibt, sind kleine Nationalstaaten, im Weltmaßstab Zwerge, die jeder für sich glauben, durchzukommen. Welch eine Missachtung der kulturellen Zusammengehörigkeit in Europa! Und welch ein ökonomischer Irrtum! Besonders die deutschen Exporte werden massiv einbrechen, wenn es so kommt. Und dann stimmen auch hierzulande die Rechnungen nicht mehr. Dann rutschen auch wir.

Es gibt keinen anderen verantwortlichen Weg, als zu versuchen, Griechenland im Euro zu halten. Er ist der am wenigsten teure. Voraussetzung ist freilich, dass es überhaupt einen Partner dafür in Athen gibt. Sollte das ab Sonntag nicht der Fall sein, muss der restliche Euro-Raum sofort einen Notfallplan aktivieren. Dann muss er sich mit großer Beschleunigung an die Beseitigung seines zentralen Geburtsfehlers machen. Entweder er schafft die politische Union dann ganz schnell, inklusive einer gemeinsamen Schuldenhaftung, um die gemeinsame Währung abzudecken. Oder das war's mit dem schönen Geld-Experiment für den Kontinent. Die Wahl in Griechenland könnte für alle Europäer zur Schicksalswahl werden.

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