In Gibraltar zeigt Madrid seine europäische Unreife

Brüssel · Verwundert reibt man sich in Europa die Augen: Da verkrachen sich zwei EU- und Nato-Mitglieder um einen Affenfelsen. Der eine wirft Beton-Blöcke ins Meer, der andere grillt einreisende Touristen bei 40 Grad in ihren Autos, indem er die Grenzkontrollen unerträglich aufbauscht und stundenlange Wartezeiten produziert.

56 Jahre nach Gründung der Gemeinschaft gebärden sich zwei Regierungen, als habe es die Versprechungen, Konflikte für alle Zeit friedlich und am runden Tisch zu lösen, nie gegeben.

Der Tabubruch hat natürlich innenpolitische Gründe. Spaniens Regierung steht mit dem Rücken zur Wand. Ökonomisch kommt das Land trotz rigider Sparpolitik nicht wirklich aus dem Tief. Politisch hat Premier Mariano Rajoy mit einem fulminanten Bestechungs- und Schwarzgeld-Skandal zu kämpfen. Da scheint Ablenkung ein willkommenes Instrument zu sein, zumal wenn es um ein Nationalsymbol geht.

Dabei kann sich Madrid bestenfalls ein paar Wochen Luft verschaffen. Denn dass man am Ende klein beigeben muss, ist absehbar. Gleich zwei Mal haben die Bewohner Gibraltars in den vergangenen Jahrzehnten klar gemacht, wohin sie gehören wollen. Spanien war es nicht.

Die eigentlich bittere Botschaft dieser Auseinandersetzung aber geht tiefer. Aller Euphorie über die Segnungen der europäischen Einigung zum Trotz gibt es in vielen Ländern noch immer einen zumindest latenten Nationalismus, dessen sich Regierende nur allzu gerne bedienen, um von aktuellen Problemen abzulenken. Solche Strömungen hat es in den zurückliegenden Jahren häufig gegeben. In Polen machten sich die Kaczynski-Brüder diesen Anti-Brüssel-Affekt zunutze, in Tschechien fuhr der frühere Präsidenten Václav Klaus einen Konfliktkurs mit der EU. Aber auch in westlichen Mitgliedstaaten war die Union immer mal wieder ein willkommener Sündenbock. Dieser politische Protektionismus ist und bleibt eine Gefahr für die Union, die zwar viel tun kann, um die Vergangenheit zu überwinden. Aber nicht genug, um historische Differenzen auszuräumen.

Dass Spanien als Revanche für ein paar Betonblöcke vor der Küste Gibraltars ausgerechnet die "heilige Kuh" Reisefreiheit antastet, sagt viel über die europäische Reife dieser Regierung. Ein derartiger Grundwert des modernen Europa sollte eigentlich tabu sein. Aber bisher hatte man ja auch geglaubt, zwei Regierungschefs, die in modernen Demokratien groß geworden sind, seien in der Lage, einen Konflikt im Gespräch am Telefon beizulegen. Oder wenigstens nicht weiter aufzuschaukeln. Auch das war eine Illusion.

Brüssel wird sich nicht als Schiedsrichter im Konflikt instrumentalisieren lassen, wohl aber den Vorfällen nachgehen, die einen Verstoß gegen die Verträge bedeuten. Dass Madrid das Risiko einer solch öffentlichen Blamage in Kauf nimmt, ist unverständlich. Schließlich lebt das Land in der Schuldenkrise von der Solidarität der EU-Partner, die man nun gerade ohne Not attackiert. Von einer europäisch denkenden und verantwortlich handelnden Regierung würde man eigentlich erwarten, dass sie jeden aufkommenden Nationalismus im Keim erstickt. Denn je offener die Grenzen in dieser Union, umso unwichtiger ist der Streit um diesen Affenfelsen. Dass Mariano Rajoy und seine Minister dies verschweigen, entlarvt die Dummheit der Aktion.

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