In der Flüchtlingsfrage muss Plan A funktionieren

Brüssel · "Die Kommission hat einen Plan A und der besteht darin, dass das Abkommen mit der Türkei funktioniert." Die Botschaft, die Behördensprecherin Mina Andreeva gestern überbrachte, war die Antwort auf jene Frage, die derzeit Europa bewegt: Gibt es einen Plan B? Was, wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ernst macht mit seiner Drohung, das Abkommen mit der EU zu kippen, falls die Visaliberalisierung im Oktober nicht kommt? Sie war Teil des Paketes, das die Gemeinschaft Ankara im März für die Mithilfe in der Flüchtlingskrise angeboten hatte - visafreie Einreise in die EU ab Juni, hieß es damals, wenn die Türkei im Gegenzug ihre Grenzen sichert und so verhindert, dass weiter täglich tausende Hilfesuchende auf den griechischen Inseln stranden. Weil aber nicht alle 72 vereinbarten Bedingungen erfüllt worden waren, sprach man in Brüssel erst von Juli - schließlich wurde kein Datum mehr genannt. Zum Ärger Erdogans, der dann den Oktober ins Spiel brachte.

Dass das noch gelingen kann, ist mehr als fraglich. Für September hat die Kommission zwar einen neuerlichen Fortschrittsbericht angekündigt - doch nach wie vor sind fünf der 72 Punkte offen. Wenn der türkische Staatschef keine Kehrtwende binnen eines Monats plant, dürften diese auch weiter unerfüllt bleiben: Dazu gehören neben dem umstrittenen Anti-Terror-Gesetz die Gewährung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit "in der Praxis" sowie die Einhaltung von Menschenrechten. Nach dem misslungenen Putschversuch hat am Bosporus hingegen eine Säuberungsaktion begonnen, die Erdogans Gegner und Kritiker systematisch mundtot macht.

Die Situation steuert auf eine Eskalation zu. Gleichzeitig kommt einmal mehr die Uneinigkeit zwischen den Mitgliedstaaten zutage. Sie alle stehen vor derselben Frage: Wie reagieren, wenn der Deal platzt ? Er sei, so Andreeva gestern, ohnehin nur ein Teil einer "breiteren Agenda". Was sie verschwieg: Es ist eben auch einer der wichtigsten. Vor allem für Griechenland, das gestern von der EU einen Plan B gefordert hat. Migrationsminister Yiannis Mouzalas gab sich "sehr beunruhigt" über die Drohkulisse aus Ankara.

Gleichzeitig brachte der Minister ein altes Thema auf: "Die Flüchtlinge müssen gleich an alle EU-Staaten verteilt werden - und nicht an einzelne." Über eine verbindliche Verteilquote aber konnten sich die Mitgliedstaaten bislang nicht einig werden. Gerade Tschechien, Ungarn, Polen und die Slowakei wehren sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Der tschechische Präsident Milos Zeman forderte sein Parlament dazu auf, die temporären per Mehrheitsbeschluss durchgesetzten EU-Flüchtlingsquoten, die die Umsiedlung von Hilfesuchenden aus Griechenland und Italien auf die anderen Staaten vorsehen, zu ignorieren. "Anscheinend haben einige Länder noch nicht verstanden, dass die Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht nur Rechte, sondern auch Verpflichtungen mit sich bringt", schimpfte gestern der Chef der CDU im EU-Parlament, Herbert Reul . Und drohte, erneut über die Neuverteilung von Strukturfonds sprechen zu wollen. Es ist ein Mittel, das in abgewandelter Form bereits im Mai von der Kommission vorgeschlagen wurde: Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, soll andere Mitgliedstaaten dafür Geld geben. Die Höhe der "Solidaritätsabgabe": 250 000 Euro.

Der Strukturfonds liegt wie die Asylsystem-Reform in den Schubladen, die erst nach dem Sommer wieder geöffnet werden. Womöglich hat die EU nicht so lange Zeit.

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