Im Sinne der Opfer

Meinung · Die Opfer sexuellen Missbrauchs können hoffen, dass ihnen doch noch ein Stück Gerechtigkeit widerfährt. Das ist die gute Nachricht. Aber es dauert alles quälend lange. Das ist die schlechte Nachricht. Christine Bergmann hat zweifellos gute Arbeit geleistet

Die Opfer sexuellen Missbrauchs können hoffen, dass ihnen doch noch ein Stück Gerechtigkeit widerfährt. Das ist die gute Nachricht. Aber es dauert alles quälend lange. Das ist die schlechte Nachricht.Christine Bergmann hat zweifellos gute Arbeit geleistet. Als Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung war sie mit ihren Mitarbeitern Ansprechpartner für rund 15 000 Opfer, die nun endlich Gehör fanden. Allein das verdient Anerkennung. Mehr noch: Bergmann hat sehr vernünftige Vorschläge zur Finanzierung von Therapien und Entschädigungen für die Opfer gemacht. Die betroffenen Institutionen, seien es Kirchen oder Verbände, sind sehr gut beraten, sich diese Empfehlungen zu eigen zu machen.

Zur Höhe von Entschädigungen hat sich Bergmann nicht konkret geäußert. Das ist klug angesichts der Vielzahl der Fälle, die nach Art und Schwere völlig unterschiedlich sind. Eine Schiedsstelle mit Sachverständigen, die über die Höhe der Entschädigung von Fall zu Fall entscheiden, ist deshalb die deutlich bessere Lösung.

Und noch ein Punkt verdient Aufmerksamkeit: Bergmann will die Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch ausweiten - sogar mehr, als die Bundesregierung dies aktuell plant. Damit bekommen Opfer, die auch nach Jahrzehnten noch so traumatisiert sind, dass sie es nicht wagen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, einfach mehr Zeit. Wie dringend notwendig das ist, zeigt der Brief einer 66-Jährigen, die als Kind vom Freund ihrer Mutter missbraucht wurde: "Warum schweigt man 10, 30 oder 60 Jahre nach Missbrauch? Man erwartet, dass Erwachsene einen schützen, oder dass sie wissen sollten, was mit einem geschieht. Als Kind erwartet man das einfach. Wenn man dann nicht geschützt wird, oder die Erwachsenen verstehen nicht, was das Kind ihnen sagen will, verliert man das Vertrauen. Eigentlich ist man doppelt geschändet, zuerst vom Täter, danach von den Erwachsenen, die einen nicht hören können oder wollen, dann vom verlorenen Vertrauen in sich und die Gesellschaft."

Was für ein langer Leidensweg für die Opfer. Und er ist noch nicht beendet, denn Bergmanns Forderungen sind ja nicht verbindlich, sondern lediglich Handlungsempfehlungen für den Runden Tisch zum Thema Missbrauch. Die Expertenrunde sollte im Sinne der Opfer schnell handeln und die Empfehlungen umsetzen. Die Missbrauchsbeauftragte nennt ihren Bericht zu Recht nur "einen ersten Schritt". Weitere müssen in der Tat folgen. Was wir nun brauchen, sind Richtlinien zur Verhinderung von sexuellem Missbrauch und mehr Aufmerksamkeit im täglichen Umgang. Damit der Wunsch der Betroffenen in Erfüllung geht: "Kümmert euch darum, dass das den Kindern heute nicht mehr passiert."

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