Im Schatten des Aufschwungs

Madrid · Die spanische Caritas hat mehr Arbeit denn je. Sie muss viel tun, um die Auswirkungen der langen Wirtschaftskrise für die Bevölkerung zu lindern. 2,5 der 46 Millionen Spanier sind seit 2013 auf regelmäßige Hilfsleistungen der kirchlichen Organisation angewiesen.

Vor allem junge Väter und Mütter, die ihre Arbeit verloren haben, sind betroffen. "Sie können ihre Miete oder Stromrechnung nicht bezahlen, weil sie kein Arbeitslosengeld mehr bekommen und verschuldet sind", sagt Raul Flores, Wirtschaftsanalyst von Caritas Spanien. Seine Berichte über die Armut im Land stehen in starkem Kontrast zu den positiven Wirtschaftsaussichten der konservativen Regierung. Deren Prognosen gehen für dieses Jahr von einem nachhaltigen Wachstum von mehr als drei Prozent aus. Die politisch, auch von Brüssel, geförderte Aufbruchstimmung hat europaweit den Eindruck erweckt, dass Spanien seit der Bankenrettung 2012 das Schlimmste überstanden habe.

Flores hält das für zu optimistisch. Zwar wachse die Zahl der Bedürftigen nicht mehr, dafür aber die Leistungen, die sie benötigten. "Die Lage hat sich damit weiter verschlechtert." Das Wirtschaftswachstum komme bei vielen Menschen nicht an. Wer vor drei Jahren nur einige Rechnungen nicht habe bezahlen können, könne jetzt ohne ordentlichen Job auch die Hypothek nicht mehr bezahlen. Tatsächlich beträgt die Arbeitslosenquote nach Angaben des nationalen Statistik-Instituts derzeit fast 23 Prozent. Bekamen 2010 noch fast 80 Prozent der Betroffenen ohne regelmäßiges Einkommen Geld vom Staat, sind es heute nur noch um die 60 Prozent. Flores hält die Hilfen und die Aufmerksamkeit der Regierung für die Opfer der Krise für zu gering. Es sei verständlich, dass in Krisenzeiten auch bei den Staatsausgaben gekürzt werden müsse; aber es dürfe nicht sein, dass die Hilfen stagnieren, wenn die Not erkennbar größer werde.

Für besonders problematisch hält der Experte die wegen der Zwangsräumungen gestiegene Zahl von Obdachlosen sowie eine wachsende Armut in jungen Familien. Die Zahl der von der Caritas betreuten Obdachlosen ist seit 2010 von rund 10 000 auf mehr als 40 000 gestiegen. "Wenn wir jetzt nicht gegenhalten, werden wir ähnliche Verhältnisse haben wie in vielen US-amerikanischen Großstädten", fürchtet Flores. Große Sorge bereitet ihm auch, dass ein Drittel der von der Caritas versorgten erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen einen Job habe: "Aber der Lohn ist so gering, dass die Kosten der Familie nicht mehr gedeckt werden können." Diese Situation habe sich in der jüngsten Vergangenheit enorm verschärft. Denn trotz acht Jahren Krise seien die Lebenshaltungskosten in Metropolen wie Madrid und Barcelona kaum gesunken.

Mehr als 300 Millionen Euro brachte die spanische Caritas nach eigenen Angaben 2014 für Hilfsbedürftige auf. Ein Großteil der Summe habe man für Familien verwandt, die ihren Haushalt nicht mehr hätten finanzieren können. "Dieses Jahr wird es noch mehr sein", versichert Flores. Von diesen 300 Millionen Euro habe der spanische Staat nur 70 Millionen beigesteuert; der Großteil werde durch private Spenden bestritten. Die werden auch in Zukunft benötigt. Denn speziell junge Eltern und deren Kinder haben laut Caritas-Analyse praktisch keine Chance, aus ihrer misslichen Lage auszubrechen, wenn das spanische Wirtschaftswachstum keine neuen, vernünftig bezahlten Stellen schafft.

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