Hoffnungen und Wünsche

Mit prächtigen Feuerwerken haben die Menschen in aller Welt das neue Jahr begrüßt. Ob die damit verbundenen Hoffnungen und Wünsche in Erfüllung gehen, ist aber fraglich, zumal sich die Entwicklung der Dinge nicht an Kalenderzahlen orientiert.

Der gute Brauch, sich gegenseitig alles Gute zu wünschen, bleibt davon unberührt. Das gilt gleichermaßen für die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin.

Ihre weihevollen Worte vor Kameras an das Volk haben zwar eher unterhaltenden Charakter, auch die Einbettung der Ansprache in Programme wie "Dinner for One" und "Silvesterstadl" verleiht dem traditionellen Auftritt eine fast schon folkloristische Note. Dennoch muss man natürlich ernst nehmen, was Angela Merkel als "Mutti" der Nation zu sagen hat. Noch ernster muss man indes nehmen, was sie nicht gesagt hat.

Die Essenz ihrer Ansprache bestand vor allem in einem Appell an die Bürger für Engagement, Zusammenhalt und Leistungsbereitschaft. Offenbar ist die Regierungschefin der Ansicht, diese Tugenden seien noch ausbaufähig, sonst hätte sie es ja nicht erwähnt. Tatsächlich sind Engagement und Leistungsbereitschaft bei den Deutschen aber bereits stark ausgeprägt, sodass es einer solchen Mahnung gar nicht bedurft hätte. Dass die Kanzlerin das Wort "Zivilcourage" in den Mund nahm, wirkt zusätzlich irritierend. Denn genau an diesem Punkt hat sie selbst versagt: Eine Regierung ist nicht nur dazu da, die politischen Rahmenbedingungen für prosperierende Wirtschaft und soziale Gesellschaft zu gewährleisten. Sie muss auch ein geistiges Klima schaffen, in dem Zivilcourage gedeihen kann. Das aber hat Merkel mit ihrer Weigerung, den mutigen Aufklärer Edward Snowden in helfender Weise zu würdigen, bislang unterlassen. Überhaupt hat sie auf die (un)heimliche Bedrohung durch Geheimdienste - staatliche Spähangriffe auf die Privatsphäre der Bürger - nur höchst unzulänglich reagiert. Hier ist die Kanzlerin ihrer Verantwortung für die Einhaltung des Grundgesetzes (Artikel 10) nicht gerecht geworden.

Merkels Ansinnen, der nächsten Generation geordnete Finanzen übergeben zu wollen, ist aller Ehren wert - und eine Selbstverständlichkeit. Beherzter wäre es gewesen, auch auf heiße Eisen einzugehen: eine Energiewende ohne Preisexplosion, das Verhältnis zu Russland, die Altschuldenregelung der Länder oder die Griechenland-Frage. Auch deshalb bergen die Wünsche vieler Bürger zum Jahreswechsel die Hoffnung, dass der neue Koalitionspartner SPD seine politische Chance erkennt - und wahrnimmt. Also mit ziviler Courage versucht, die Defizite der zaudernden Kanzlerin auszugleichen. Merkel selbst, zweifellos im Zenit ihrer Macht, muss aufpassen: Wer auf dem Gipfel ist, hat nur noch einen Weg vor sich. Den nach unten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort