Hoffnung Hamburg bringt FDP in noch größere Not

Hamburg · Die kalte Dusche für Christian Lindner gibt's bei Facebook . Am Montagabend erfährt der FDP-Chef, dass der Hamburger Landesverband kopflos dasteht. Sylvia Canel, schwer frustriert und zermürbt von einer monatelangen Fehde mit der hanseatischen Vorzeige-Liberalen Katja Suding , schmeißt hin.

Schlimmer noch: Sie tritt aus der FDP aus, eventuell gründet sie jetzt eine neue Partei. Das wäre die erste Abspaltung nach dem historischen Scheitern der Liberalen bei der Bundestagswahl vor einem Jahr. Direkt nach dem Wahldesaster in Sachsen sind das wieder düstere Nachrichten für Lindner, der die FDP 2017 zurück in den Bundestag bringen will.

Ausgerechnet Hamburg : Die Wahl am 15. Februar 2015 haben Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki zur Riesenchance ausgerufen, den freien Fall zu stoppen. Ein Erfolg, vielleicht sogar ein sozialliberales Bündnis mit SPD-Bürgermeister Olaf Scholz , würde die totgesagte FDP mit einem Schlag als Machtfaktor zurück ins Spiel bringen.

Wenige Monate vor der Wahl zerlegt sich der Landesverband jetzt aber auf offener Bühne. Garniert mit scharfen Attacken Canels. Es gebe einen "falschen Korpsgeist in der FDP ", mit dem jede Diskussion erstickt werde. "Ich habe das Gefühl, dass man innerhalb der FDP nicht mehr frei sagen kann, was man denkt." Besonders in Rage hat Canel ein Vorschlag Lindners gebracht, der in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen Hartz-IV-Empfängern das Sozialticket für Bus und Bahn streichen würde, um Millionen für den Straßenbau locker zu machen. Man könnte meinen, Hartz-IV-Empfänger seien zum Feindbild der FDP geworden "wie einst Porschefahrer für die Grünen", ätzt sie via Facebook .

Seltsam aber ist, dass sich Canel plötzlich als überzeugte Sozialliberale outet - und Lindner, der sich für ein weltoffen-modernes FDP-Image einsetzt, soziale Kälte unterstellt. In ihrer Zeit als Bundestagsabgeordnete bis 2009 gesellte sich die 56-Jährige gerne zum "Euro-Rebellen" Frank Schäffler , in der Fraktion galt sie als unberechenbar. Der Paukenschlag in Hamburg zeigt, dass Lindner bei ausbleibendem Erfolg jederzeit mit Flügelkämpfen und Richtungsdebatten rechnen muss. Unangenehm für ihn sind die Kabale an der Elbe auch, weil er den Dauerkrach zur Chefsache gemacht hatte. An Pfingsten war Lindner auf Friedensmission in Hamburg . Der Clinch zwischen der attraktiven Fraktionschefin Suding und Landeschefin Canel drohte schon damals zu eskalieren. Lindner erreichte zunächst eine Art Waffenstillstand. Suding wurde zur Spitzenkandidatin - und Canel eigene Bürgerschaftsambitionen ausgeredet. Aber kurz darauf entpuppte sich Lindners parteiinterner Blauhelm-Einsatz als brüchig. Der Zoff der Frontfrauen ging in sozialen Medien munter weiter.

Von Lindner selbst war gestern nichts zu hören. In seinem Umfeld heißt es, bei Canel habe ein "gekränktes Ego" eine große Rolle gespielt. Lieber ein Rücktritt jetzt als im Dezember oder Januar, kurz vor der Wahl. Canel überlegt jetzt, ob sie zusammen mit anderen enttäuschten Hamburger FDP-Politikern eine neue, sozialliberal ausgerichtete Partei gründet. Kommt es soweit, könnte das die FDP Stimmen kosten. Lindners wichtigster Mitstreiter beim Neuaufbau, Wolfgang Kubicki , hält Canel & Co. jedoch für keine Gefahr - und greift zum Spott: "Ich wünsche allen Beteiligten eine gute Reise."

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