Hoffnung gegen die Paranoia

Es ist die Crème der amerikanischen IT-Industrie. Klangvolle Namen wie Apple, Google, Microsoft oder Facebook wollen sich nicht länger anschmieren lassen von Geheimdiensten, die sich als absolutistische Herren der Welt begreifen.

Die Unternehmen protestieren (endlich) gegen die politische Zumutung, dass die komplette Kommunikation der Menschheit unter dem Vorwand der Sicherheit belauscht und abgespeichert werden soll. Gewiss haben die Global Player auch wirtschaftliche Interessen, sie wollen nicht als billige Handlanger der Geheimdienste Vertrauen einbüßen. Aber der politisch-kulturelle Aspekt der Aktion, in einem offenen Brief an US-Präsident Obama eine Beschränkung der Überwachung einzufordern, kommt nicht zu kurz.

Genau so tröstlich ist der literarische Aufschrei der über 500 Schriftsteller mit fünf Nobelpreisträgern. Was durchaus pathetisch als "Aufruf an die Welt" betitelt ist, wirkt wie Balsam für die gescannte Seele und stellt ein Stück Befreiung dar. Endlich kümmert sich jemand, endlich nimmt sich jenseits der Medien jemand des Themas an, endlich ist die Zeit der Schockstarre vorbei. Schade nur, dass es mal wieder die Bürger sind, die sich kümmern müssen - und die Volksvertreter damit blamieren. Bis heute haben Minister und Parlamentarier (bis auf wenige Ausnahmen) nur weichgespülte Stellungnahmen abgegeben. Ihrer Verantwortung für die Einhaltung deutscher und europäischer Gesetze sind sie bislang nicht gerecht geworden.

Das gilt in erster Linie für die selbst ausgespähte Kanzlerin. Wer wie Merkel in biblischer Sanftmut (oder Naivität) dem skrupellosen "Big Brother" auch noch die andere Backe hinhält, verdient keinen Respekt. Bis heute hat sich Merkel nicht aufraffen können, ein versöhnliches Wort für Edward Snowden zu finden. Für den Mann, der uns allen die Augen geöffnet hat für die Auswüchse ungezügelter Macht. Ein schlechtes Beispiel für die junge Generation, die doch Zivilcourage lernen soll.

Ähnlich schlimm die irritierende Feigheit der Genossen, die jetzt mitregieren wollen. Falls sie nicht mehr wissen, was sie (vor der Wahl) alles gesagt haben zum Späh-Skandal: SPD-Chef Gabriel und seine Leute können es gern nachlesen, das Internet vergisst ja nichts. Dabei hätte man die große Chance gehabt, sich als Anwalt der Digitalisierten im Koalitionsvertrag zu profilieren. Stattdessen nur schwammige Absichtserklärungen. Nun, das Volk darf sich glücklich schätzen, über Intellektuelle zu verfügen, die sich nicht mit der schleichenden Entdemokratisierung der Welt arrangieren wollen. Der aufgeflammte Protest der Schriftsteller und IT-Firmen nährt die Hoffnung, dass gegen die Paranoia geheimer Dienste vielleicht doch ein Kraut gewachsen ist.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort