Hilfe für Schiedsrichter
Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift. Diese Fußball-Weisheit gibt es schon ewig.
Seit gestern gibt es eine weitere: Ein Tor ist auch ein Tor, wenn es gar kein Tor war. Aber nur dann, wenn der Schiedsrichter der Meinung ist, dass es ein Tor ist. So jedenfalls könnte man etwas spöttisch das Geschehen in der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zusammenfassen, wo gestern das DFB-Sportgericht über das sogenannte "Phantomtor" von Stefan Kießling im Spiel von Bayer Leverkusen gegen 1899 Hoffenheim zu befinden hatte.
Die Entscheidung des Gerichts unter dem Vorsitzenden Hans E. Lorenz, dem Protest von Hoffenheim nicht stattzugeben und ein Wiederholungsspiel abzulehnen, ist die richtige Entscheidung. Die Tatsachen-Entscheidung, die Schiedsrichter Felix Brych mit seinen Assistenten traf und Kießlings Kopfball zu einem Tor machte, gilt im Fußball als eines der schützenswertesten Güter. Unter den gegebenen Umständen konnte das Gericht nur so handeln.
Indes: Was in der Juristerei richtig ist, das muss im Leben noch lange nicht gerecht sein. Natürlich ist es ungerecht, durch ein Tor, das gar keines war, 0:2 in Rückstand zu geraten. Um solche Ungerechtigkeiten künftig zu vermeiden, müssen die Herren beim DFB endlich technischen Hilfsmittel einführen. Es ist wahrlich nicht zuviel verlangt vom größten Sportfachverband der Welt und der millionenschweren Deutschen Fußball-Liga, die vorhandenen technischen Möglichkeiten auszuschöpfen. Dabei muss es nicht gleich das Einführen der Torlinientechnik sein. Im konkreten Fall hätte es schon genügt, wenn Schiedsrichter Brych das Spiel unterbrochen hätte und sich die Szene auf einem Monitor in der Wiederholung angeschaut hätte. Der Irrtum wäre sofort aufgeklärt worden.
Fußball-Puristen werden jetzt sagen: "Videobeweis? Um Gottes Willen, das zerstört doch den Charakter des Spiels!" Ihnen sei gesagt: Ist es gesund für den Fußball, wenn das elementarste Ereignis dieser Sportart, nämlich das Erzielen eines Tores, ad absurdum geführt wird? Es geht nicht darum, jede Abseitsstellung zu hinterfragen, jedes Foul oder Handspiel im Strafraum auf seine Elfmeterwürdigkeit zu überprüfen. Es geht darum, dass ein Tor nur dann auch als ein Tor gewertet wird, wenn der Ball regulär die Torlinie überschritten hat.
Der Videobeweis beim Tor hätte nur Gewinner: fair behandelte Teams; Spieler, die nicht in Verlegenheit kommen, vielleicht lügen zu müssen oder nicht ganz die Wahrheit zu sagen; und Zuschauer, deren Nervenkostüm weniger strapaziert wird. Die größten Gewinner wären aber die Schiedsrichter, die oft genug die Buhmänner der Nation sind. Ihnen wäre der Videobeweis am meisten zu gönnen.