Haifische unter sich

Meinung · Wenn wir alle wüssten, was jeder vom anderen denkt - die Zahl der Freunde würde wohl stark zusammenschnurren. Aber wir behalten unsere Meinung lieber für uns. In der internationalen Diplomatie ist es wie im wirklichen Leben. Die Botschafter grinsen freundlich, wenn sie beim Bankett die jeweiligen nationalen Amtsträger treffen, und denken sich ihren Teil

Wenn wir alle wüssten, was jeder vom anderen denkt - die Zahl der Freunde würde wohl stark zusammenschnurren. Aber wir behalten unsere Meinung lieber für uns. In der internationalen Diplomatie ist es wie im wirklichen Leben. Die Botschafter grinsen freundlich, wenn sie beim Bankett die jeweiligen nationalen Amtsträger treffen, und denken sich ihren Teil. Das kabeln sie dann als interne Einschätzung in ihre Zentralen. Alles ganz normal.Dank Wikileaks ist das auf amerikanischer Seite nun plötzlich aber alles öffentlich. Entsprechend wird die Zahl der Freunde, die zum Beispiel US-Botschafter Philip Murphy in Berlin hat, wohl drastisch sinken. Eigentlich bleiben nur Karl-Theodor zu Guttenberg und Wolfgang Schäuble, die als zuverlässige Zuträger gelobt werden, was für beide innenpolitisch nicht vorteilhaft ist. Die Verbreitung der 250 000 internen Berichte öffnet den Partnern Amerikas die Augen. Aber in Wirklichkeit enthüllt Wikileaks nichts Neues über die Enthüllten. Dass zum Beispiel Guido Westerwelle eitel sei, meinen auch ungefähr Dreiviertel der deutschen Kommentatoren. Ebenso, dass Angela Merkel es mit der Risikobereitschaft nicht so hat. Und Dirk Niebel als "schräge Wahl" zu bezeichnen, ist wenig originell.

Was die Veröffentlichung aber enthüllt, ist das Cowboyhafte der US-Diplomatie. Sichtbar wird eine Nation, die sich noch immer wie ein Weltenherrscher aufführt und meint, die Politik und die Politiker anderer Länder nach zwei Kriterien beurteilen zu können: Gut für Amerika, schlecht für Amerika. Und wirklich brenzlig wird es, wenn klar wird, dass die US-Botschaft sich in Deutschland ein Netzwerk von Informanten in allen Parteien aufgebaut hat, die zum Teil direkt aus den Koalitionsverhandlungen berichtet haben. Da wird aus dem Botschafter ein simpler Spion, den man bei Gelegenheit des Landes verweisen sollte.

Wikileaks wird nun kritisiert, weil dies eine Veröffentlichung ist, die sich nicht mit dem hehren Aufklärungsinteresse über Krieg und Frieden beschäftigt, wie noch die Irak-Dossiers. Sondern weil es die Schlüsselloch-Perspektive bedient. Aber was ist so schlimm daran? Alle Welt weiß nun, was alle Welt ohnehin ahnte, nämlich dass auch Diplomaten nicht immer feine Leute, aber fast immer ausgebuffte Profis sind, die im Auftrag ihres Heimatlandes arbeiten und keine wirklichen Freunde kennen. Wenn Murphy also Westerwelle beim nächsten Empfang mit Haifischgrinsen angrinst, wird der auf die gleiche Art zurückgrinsen - Haifische unter sich. Allerdings sollten sie in Washington künftig ihre Computer besser schützen. Schließlich sind die USA tatsächlich eine Weltmacht. Noch.

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