Gute Werbung für den Glauben

Bremen · Der Flüchtlingszustrom nach Deutschland erweist sich als unerwartete Chance für die evangelische Kirche: Sie sucht schon lange nach neuen Wegen, um religionsfernen Menschen den Glauben näher zu bringen.

Dass christliche Nächstenliebe nicht bloß in Sonntagspredigten eine Rolle spielt, stellen Protestanten derzeit an vielen Orten unter Beweis. Überall dort nämlich, wo sie bei der Aufnahme von Asylbewerbern mit anpacken. Bei der Jahrestagung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die an diesem Sonntag in Bremen beginnt, geht es denn auch um Flüchtlingspolitik - und um eine Gesellschaft, die zusehends mit dem Glauben fremdelt.

Die Zahl der evangelischen Christen ist seit Jahren rückläufig. 2013 lebten in Deutschland rund 23 Millionen Protestanten , zehn Jahre zuvor waren es noch 25,8 Millionen. Dafür ist nicht allein der demografische Wandel verantwortlich; viele Enttäuschte wandten sich von ihrer Kirche ab. Umso wichtiger ist eine profilierte Person an der Spitze der EKD, die protestantischen Positionen in Politik und Gesellschaft Gehör verschafft und dem schrumpfenden Kirchenvolk als Lotse dient.

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, der vor einem Jahr als Nachfolger von Präses Nikolaus Schneider in dieser Mission angetreten war, soll in Bremen für die nächste fünfjährige Periode im Amt bestätigt werden. An einen Gegenkandidaten hat die Kirche - nicht nur wegen der gewünschten Kontinuität an der Spitze - keinen Gedanken verschwendet. Denn der Münchner Bischof hat sich als klar formulierender Fürsprecher der Kirche erwiesen.

Beim Thema Sterbehilfe warnte der 55-Jährige vor einem sozialen Druck auf alte Menschen. Von der Wirtschaft forderte er mehr Rücksicht auf Familien. Er prangerte eine ungleiche Verteilung von Wohlstand an - und zeigte der Pegida-Bewegung die rote Karte. Obwohl die EKD weiterhin viele Grundsatzpapiere verbreitet, ist Bedford-Strohm kein Schreibtischmensch: In der Flüchtlingskrise machte er sich an der ungarischen Grenze selbst ein Bild von der Lage. Als echter Glücksfall für die Ökumene erweist sich sein guter Draht zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, dem Münchner Kardinal Reinhard Marx . Das in Teilen gemeinsame Programm zum 500-jährigen Reformationsjubiläum 2017 haben beide mit geplant. Die theologischen und diplomatischen Fallstricke sind bei diesem Thema vielfältig.

Doch die Einbindung der Katholiken ist nicht der einzige Stolperstein, den die Protestanten bei den seit Jahren laufenden Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum aus dem Weg schaffen wollen. Mit der nötigen Kritik wollen sich die Synodalen bei ihrer Tagung bis Mittwoch zudem die judenfeindlichen Schriften Martin Luthers vornehmen. Klare Worte werden aber auch zum Anti-Judaismus anderer Reformatoren erwartet. Als Gast wird der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, in Bremen erwartet.

Das Gedenkjahr wird auch für den neuen EKD-Rat zunächst die wichtigste "Baustelle" sein. Doch seine Amtszeit geht bis 2021, sodass der Blick deutlich weiter reichen muss. Es dürften also wieder Themen auf den Tisch kommen, um die es zuletzt still geworden ist, etwa der 2006 mit großem Aplomb gestartete Reformprozess "Kirche im Aufbruch". Die seinerzeit ausgemachten Krisen-Phänomene sind jedenfalls weiter aktuell und werden auch durch das Reformationsgedenken nicht an Brisanz verlieren.