Gut gelaunte Liberale nehmen Kurs auf Europa

Berlin · Bei der FDP trauten sie ihren Ohren kaum. Bundespräsident Joachim Gauck nutzte diese Woche seine Freiburger Rede, um ein flammendes Plädoyer für Neoliberalismus, Markt und Freiheit – mit sozialer Balance – zu halten.

Schöner hätte es auch FDP-Chef Christian Lindner nicht formulieren können. Viele Liberalen dürften allerdings gedacht haben: "Danke, Herr Präsident. Aber leider etwas spät." Schließlich war es die FDP, die Gauck in der schwarz-gelben Koalition gegen den Willen der Kanzlerin ins höchste Staatsamt verholfen hatte. Auch das nutzte den Liberalen bekanntlich nichts - vor vier Monaten verbannten die Wähler die Partei erstmals seit 1949 aus dem Bundestag.

Der präsidiale Rückenwind kommt der FDP sehr gelegen vor der Europawahl, die Ende Mai ansteht: Das Interesse an den Liberalen bleibt damit wach, auch wenn SPD und Grüne versuchen werden, die Leerstelle im Parlament zu besetzen. "Erbschleicherei" nennt das FDP-Vize Wolfgang Kubicki und frotzelt: "Es ist amüsant festzustellen, dass politische Kräfte, die uns im Wahlkampf massiv bekämpft und mit Häme überzogen haben, jetzt den Liberalismus für sich entdecken."

Bei ihrem Europa-Parteitag an diesem Sonntag in Bonn will Lindner vor allem deutlich machen, dass die FDP ihrer großen Europa-Tradition treu bleibt und keineswegs populistische Töne anschlägt wie AfD, CSU und Linkspartei. Bislang hat der 35-Jährige das politische Schattendasein medial bestens überbrückt. Die Stimmung an der liberalen Basis gilt als überraschend gut, seit der Wahlkatastrophe traten 2500 Bürger in die FDP ein. Zwar beendeten auch 1600 ihre Mitgliedschaft, aber nach Angaben aus der Partei ist die Zeit der aggressiven Ablehnung vorüber, die während des Wahlkampfs zu spüren gewesen sei. Die Menschen hörten langsam wieder zu.

Diese Neugier will die FDP mit mehr Basisbeteiligung und einem modernen Auftritt dauerhaft befriedigen. Nach der desaströsen Zweitstimmen-Strategie und der biederen Optik der Bundestagskampagne hat man die Werbeagentur gewechselt. Am Konzept für die Europawahl arbeitet die Düsseldorfer Firma Brand Lounge mit. Lindner will an seine erfolgreiche Kampagne zur Landtagswahl 2012 anknüpfen, die unter dem Leitmotiv "Das ist meine FDP" stand.

Als Spitzenmann für die Europa-Liste ist der Chef der Liberalen im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, gesetzt. Der Neffe des legendären Wirtschaftsministers soll mit seinem großen Namen und mit Kompetenz punkten. Auf den vorderen Listenplätzen will Lindner auch mehrere Frauen sehen. Sein Stellvertreter Kubicki setzt für die Wahl am 25. Mai derzeit noch bescheiden auf ein Ergebnis über fünf Prozent - 2009 waren es elf Prozent. Helfen soll dabei erster Wählerfrust über Schwarz-Rot. So wird etwa das teure Rentenpaket der großen Koalition als Steilvorlage gesehen.

Die folgenden drei Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gelten für die FDP als schwierig. Kubicki und andere denken derweil schon weiter. Auch wenn einige Politiker von CDU und FDP gerade einen Gesprächskreis namens "Kartoffelküche" gegründet haben, gilt ein besserer Kontakt zu den Sozialdemokraten als strategische Herausforderung. Im Frühjahr 2015 wählt Hamburg - eine sozialliberale Koalition in der Hansestadt wäre eine spannende Vorlage für die nächste Bundestagswahl.

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