Guaidó ein halbes Jahr Interimspräsident Venezuelas Opposition enttäuscht Erwartungen

Mexiko-Stadt/Caracas · Die Szene hatte etwas Surreales. Ein Zelt mit einer Bühne inmitten von Caracas, darauf ein Rednerpult, an dem das venezolanische Staatswappen heftet. Hinter dem Pult steht Juan Guaidó im dunklen Anzug und verspricht zum wiederholten Mal: „Wir werden tun, was wir tun müssen, um Venezuela zu retten.“ Vor ihm sitzen Dutzende Abgeordnete der oppositionellen Nationalversammlung auf Klappstühlen und applaudieren.

 Juan Guaidó konnte Nicolás Maduro nicht aus dem Amt drängen.

Juan Guaidó konnte Nicolás Maduro nicht aus dem Amt drängen.

Foto: dpa/Ariana Cubillos

Die Sitzung der Parlamentarier unter freiem Himmel sollte gerade an diesem 23. Juli staatstragend und volksnah wirken. Nur kam kaum Volk auf die Plaza Sadel im Stadtteil Las Mercedes, und die Sitzung wirkte nicht staatstragend, sondern eher verzweifelt.

Dabei wollte der „Presidente encargado“ Juan Guaidó, der „beauftragte Präsident“ Venezuelas die sechs Monate seines selbsterklärten Mandats feierlich begehen. Aber die Veranstaltung wirkte wie ein Aufruf zum Durchhalten. Seit sich der bis dahin völlig unbekannte Politiker in seiner Funktion als Parlamentspräsident am 23. Januar zum Übergangspräsidenten erklärte, ist er mit seinem friedlichen Umsturzversuch kein Stück weiter gekommen. Noch immer sitzt Nicolás Maduro gemütlich im Miraflores-Palast – und Guaidó kämpft noch immer auf der Straße um Zustimmung.

Im Februar und auch im März noch waren es Zehntausende, manchmal Hunderttausende Venezolaner, die dem jungen Politiker folgten. Derzeit hören dem Oppositionsführer noch gerade ein paar Hundert, manchmal tausend Menschen zu. „Die Luft ist raus“, sagt Maria Barrera, die für ein Investigativportal in Venezuelas Hauptstadt arbeitet, im Gespräch mit dieser Zeitung.

Dass es Guaidó trotz einer dramatischen Wirtschafts- und Versorgungskrise nicht gelungen ist, das autoritäre Maduro-Regime zu stürzen, hat viele Gründe. Zum einen sind die Chavisten, die Venezuela seit mehr als 20 Jahren regieren, widerstandsfähiger als erwartet. Zum anderen spielt die Unterstützung Russlands und Chinas für das Regime eine wichtige Rolle. Die beiden Staaten haben Venezuela als Ort auserkoren, an dem sie eine Machtprobe mit den USA von Donald Trump ausfechten können.

Der entscheidende Wendepunkt aber sei der gescheiterte Putsch vom 30. April gewesen, sagt Maria Barrera. „Seither ist die Unterstützung für Guaidó im freien Fall.“ Die Menschen seien davon ausgegangen, dass die behauptete militärische Unterstützung für den Oppositionsführer tatsächlich existiere, sahen aber, dass das nicht stimmte. Guaidó und die zunehmend uneinige Opposition haben bei den Venezolanern Erwartungen geweckt, die sie nicht erfüllen konnten.

Parallel zu der schwindenden Unterstützung im eigenen Land lässt auch die internationale Hilfe nach. Die 50 Staaten, die den konservativen Politiker als rechtmäßigen Staatschef anerkannt haben, schweigen jetzt, denn viele Unterstützer hat der Putschversuch befremdet. Auch Hauptverbündeter Trump wendet sich bei seinen Kriegsspielereien jetzt lieber Iran und Korea zu.

Was für ein Szenario ist also für Venezuela zu erwarten? Entweder die Implosion des Regimes oder eine Verhandlungslösung. In der einen Variante wirken die Wirtschaftssanktionen irgendwann so, dass der Transport- und Verkehrssektor und in der Folge die Nahrungsmittelversorgung komplett zusammenbrechen und sich selbst die Anhänger der Regierung gegen Maduro wenden. In dem anderen Szenario erreichen die Konfliktparteien bei ihren Gesprächen auf der Karibikinsel Barbados unter Vermittlung Norwegens tatsächlich einen Minimalkonsens, der einen Ausweg aufzeigt. Allerdings ist die Bereitschaft dafür auf beiden Seiten nur sehr klein.

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