Glück schießt Tore

Ab heute rollt in Brasilien der Ball. Es wird auch Zeit, schon um die hässlichen Nachrichten über das soziale Elend in dem WM-Land, über Streiks und Demonstrationen, über Korruption bei der Fifa und pikante Gerüchte um Katar-Freund Franz Beckenbauer aus den Schlagzeilen zu drängen.

Gewiss ist der Überlebenskampf der Armen und Unterdrückten wichtiger als Fußballspiele. Dennoch sollte das größte aller Sportfeste im Vordergrund stehen, auch weil hunderte Millionen Menschen in aller Welt dieser WM entgegenfiebern.

Fußball & Brasilien, das ist eine ideale Kombination. Nirgendwo wird der Fußball so leidenschaftlich zelebriert wie im hitzigen Klima am Zuckerhut. Und weil es die modernen Zeiten und die kühl kalkulierten Vorgaben der Fifa so wollen, sind die Voraussetzungen (Stadien, Hotels, Zufahrtswege) für ein gutes Gelingen durchaus gegeben. Allerdings sind Infrastruktur und professionelles Management nicht spielentscheidend. Für ein Sommermärchen der Superlative ist mehr nötig als brave Logistik: Der Rhythmus muss stimmen, der Funke überspringen. So wie bei der WM 2006 in Deutschland.

Rein sportlich zählt das deutsche Team zu den Favoriten, trotz der Verletztenmisere, trotz mancherlei Formschwäche. Bundestrainer Joachim Löw verfügt über ein starkes Ensemble hoch talentierter Kicker, die an guten Tagen zu allem fähig sind. Das will aber nichts heißen, denn schon ein abgefälschter Ball - also der reine Zufall - kann über Sieg oder Niederlage entscheiden. Das gilt allerdings, wie die klimatischen Bedingungen, für alle Teams. Jogis Jungs brauchen deshalb in der Praxis, was die 31 Konkurrenten ebenfalls brauchen: Glück. Glück schießt nämlich Tore und Pech lässt welche rein. Das weiß auch der taktisch nicht sehr versierte Bundestrainer, der zugleich ahnt, dass seine Tage beim DFB gezählt sind, falls er zu früh ausscheidet.

Diese Fußball-WM ist jedenfalls mehr als ein sportlicher Wettbewerb, sie ist ein Politikum. Und das nicht nur, weil im Herbst in Brasilien gewählt wird. Die nächsten vier Wochen werden zeigen, welches Land Trauer tragen muss und welches Samba tanzen darf. Sie werden zeigen, wie viel Moral wir uns als Zuschauer abseits des Spektakels gestatten und ob wir beim Blick auf das Elend der Realität genervt reagieren. Denn in zumindest einem Punkt haben die Demonstranten von Rio oder Sao Paulo absolut Recht: Wenn die brasilianische Regierung in Schulen, Kliniken oder Nahverkehr ähnlich viel Energie und Steuergeld investiert hätte wie in den Bau von Fußballstadien und wenn nicht die steinreiche Fifa, sondern das bettelarme Brasilien von den TV- und Werbe-Milliarden profitieren würde, dann ginge es den Menschen dort spürbar besser.

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