Glaubensfragen für Europa

Wo auch immer die Experten der EU-Kommission auftauchen, um Staaten wieder auf den rechten Weg zurückzubringen, wird eine Forderung ganz schnell erhoben: Eine effiziente Verwaltungsstruktur muss her – und Personal beseitigt werden. Diese Weisheit ist aber nicht nur für die Adressaten, sondern auch für die Absender richtig.

Die Verkleinerung der EU-Spitze war ein zentrales Anliegen des Lissabonner Vertrages von 2007 über die Reform der Union. Stattdessen ist nach Fertigstellung des Textes wieder so lange herumgedoktert worden, bis feststand, dass die EU-Führung nicht nur nicht verkleinert, sondern sogar noch ausgeweitet werden würde. Dabei ist eine politisch aufgepumpte Mannschaft mit 28 Kommissaren schlichtweg nicht steuerbar - und ineffizient.

Dass diese Lösung vom heutigen EU-Gipfel erst einmal offiziell verlängert wird, ist irritierend. Zumal im nächsten Jahr das Europa-Parlament, die Kommission sowie drei weitere Top-Jobs an der Spitze der Union neu besetzt werden und somit eine ideale Chance für eine grundlegende Reform da wäre.

Dennoch: Ganz unverständlich ist das Zögern der EU-Staaten nicht. Denn eine Reform der Kommission passt politisch derzeit nicht in die Landschaft. Wer wollte Großbritannien, das gerade ohnehin kurz vor dem Absprung aus der EU zu stehen scheint, klarmachen, dass es künftig im wichtigsten Gremium der Gemeinschaft zeitweise nicht mehr vertreten ist?

Vor allem aber ist die Frage nach der Größe der Kommission derzeit im Grunde zweitrangig. Denn dahinter steht Grundsätzlicheres. Aus der Kommission, "der Hüterin der Verträge", ist eine politische Institution geworden, die immer mehr Hoheitsrechte für sich beansprucht. Das stellt die EU vor eine Glaubensfrage: Soll sie ein politisches Bündnis sein - mit einer politischen Führung? Oder will man die Aufgaben der Union auf wenige zentrale Kernanliegen wie Wirtschaft, Währung, Außenpolitik, Binnenmarkt und Klimaschutz zurückschneiden? Dann kann man die Strukturen so belassen, wie sie heute sind - aber all jene Kommissare, die sich mit anderen Themen beschäftigen, abschaffen. So lange sich die EU aber weder für den einen noch für den anderen Weg entschieden hat, ist die Frage, ob nun 27 oder 28 oder doch nur 19 Kommissare in Brüssel arbeiten, zweitrangig und nicht wirklich zu beantworten.

Natürlich sollte in der EU nicht die Zahl der Mitgliedsländer die Größe der Regierung bestimmen, sondern der Umfang der Aufgaben. Von diesem Grundsatz hat man sich schon jetzt weit entfernt. So verständlich der heutige Beschluss der Staats- und Regierungschefs für den Augenblick sein mag. Er geht an der Notwendigkeit einer Reform der EU völlig vorbei.

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